Sie und Er
Wirklichkeit immer elender.
»Selbstverständlich. Rufen Sie mich, wenn Sie mich brauchen.« Der Besitzer oder Geschäftsführer zieht sich zurück und bedeutet der Verkäuferin, sich ebenfalls fernzuhalten.
Stefano und Clare gehen zwischen Sofas und Sesseln herum, die mit schwarzem und weißem Leder bezogen sind und einheitliche Sitzgruppen bilden, in L-Form und U-Form. Es gibt Couchtische, Esstische, Betten, Regale, Konsolen, alles ohne eine Spur Wärme in den Linien oder Materialien. Weiter drüben sind einige Küchen ausgestellt, als Block im Raum und Kombinationen an der Wand, nicht weniger schauderhaft mit ihren Oberflächen aus lackiertem Holz und mattem Stahl, in das erbarmungslose Licht von ganzen Batterien von Halogenstrahlern getaucht. Clare versucht sich vorzustellen, in einer Wohnung mit solchen Möbeln zu leben, und der bloße Gedanke schnürt ihr den Hals zu. Sie begreift nicht, wie sie es überhaupt so weit kommen lassen konnte, warum sie es nicht geschafft hat, die Kette von falschen Interpretationen und nutzlosen Anpassungsversuchen, die sie bis hierher gebracht hat, früher zu zerreißen. Plötzlich ist sie beinahe sicher, dass es ihr auch nie gelungen ist zu klären, wer sie nicht ist, was sie nicht will, was sie nicht interessiert, was ihr nicht gefällt.
»Siehst du etwas, das dir gefällt?«, fragt Stefano mit dem Gesichtsausdruck dessen, der sich ein Leben zu zweit aufbaut.
»Sind die Möbel, die du hast, nicht gut genug?«, fragt sie leise, in einem verzweifelten Versuch, den Schaden zu begrenzen.
»Nein«, sagt Stefano. »Sie sind fast alle maßgeschreinert, und auch die Maklerin meint, es sei besser, die Wohnung möbliert zu verkaufen. Außerdem vereinfacht es den Umzug, und wir können zusammen neue Sachen aussuchen, die uns beiden gefallen.«
»Bist du wirklich sicher?« Immer verschreckter betrachtet Clare die Möbel um sich herum.
»Ganz sicher«, sagt Stefano. »Hundert pro.«
»Wenigstens für die Küche brauchen wir ja nichts.« Sie klammert sich an die Idee, dass doch irgendetwas von dieser traumatischen Entscheidung ausgenommen sein könnte. »Die nimmt die Besitzerin bestimmt nicht mit, es ist ja eine extra für dieses Tortenstück angefertigte Einbauküche.«
»Ach, die kommt sowieso weg.« Stefano macht eine wegwerfende Handbewegung. »Wir versetzen die Wände, beseitigen alle Kurven und unnützen Winkel und schaffen einen linearen, funktionalen Raum.«
»Hast du nicht gesagt, du fändest die Küche witzig?«, fragt Clare.
Stefano schüttelt den Kopf: »Meine Mutter hat recht, diese Form ist lächerlich, einfach unsinnig. Wir wollen doch kein Puppenhaus, sondern eine angemessene Wohnung.«
Sie versucht tief durchzuatmen, obwohl die Kälte ihr Lunge und Magen lähmt.
Stefano fährt mit der Hand über das Kopfteil eines grauenhaften Bettes, Stahl und bleigraues Leder. Er setzt sich, klopft mit der Hand auf die Velourstagesdecke und lächelt vielsagend.
Ihr Herz krampft sich zusammen: »Gibt es nicht etwas Farbigeres?«
»Das da zum Beispiel?« Stefano springt auf, deutet auf ein Ecksofa aus rotem Leder.
»Ein Entwurf von Aaron Moltke«, sagt der Besitzer oder Geschäftsführer, der sie aus ein paar Metern Abstand weiter im Auge behält. »Büffelleder auf einem Rahmen aus Karbonfaser, praktisch unzerstörbar.«
»Was Weicheres?«, sagt sie halblaut zu Stefano.
»Es ist weich.« Stefano setzt sich, klopft mit der Hand auf die Armlehne. »Solide, aber weich. Probier’s doch auch mal aus.«
»Was Sympathischeres, meine ich?«, sagt sie.
Stefano neigt den Kopf, als verstünde er sie nicht. Wahrscheinlich treten ihre Unterschiede ja auch zum ersten Mal so offen zutage, weil sie gemeinsam etwas auswählen sollen: Es ist nicht so, wie wenn er zu ihr sagt, das Haus in San Minimo sei eine Bruchbude, oder sich eine Krawatte kauft, die ihr nicht gefällt, oder ihr zum Geburtstag eine Handtasche schenkt, die überhaupt nicht zu ihr passt. Ihr kommen einige Meinungsverschiedenheiten bei der Wahl eines Hotels oder eines Restaurants in den Sinn, doch das waren vorübergehende Misstöne, die am nächsten Tag vergessen waren. Hier betrifft der Mangel an Übereinstimmung dauerhafte Elemente ihres möglichen zukünftigen Lebens und könnte es zutiefst erschüttern.
»Was Freundlicheres?«, sagt sie noch leiser. »Vielleicht in einem anderen Geschäft?«
Stefano lächelt kopfschüttelnd. Man kann sein Verhalten gewiss nicht überheblich nennen, dennoch besteht kein Zweifel,
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