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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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nicht den Arm um die Schultern, sagt nichts, was der Stimmung entspräche, in der sie in der Raststätte und auch noch bis vor wenigen Minuten im Auto waren. Stumm geht er vorneweg, biegt nach etwa zwanzig Metern rechts in eine Gasse ein.
    Sie folgt ihm zwischen den engen alten Mauern, wo es nach Jasmin und Katzenpisse riecht, nach wilden Gärten, kürzlich gesprengtem Rasen, moosigen Steinen. Der Abstand zwischen ihnen beträgt nur ein paar Schritte, könnte aber viel größer sein; ihr ist, als betrete sie eine Zone, die noch unsicherer, vielleicht sogar gefährlich ist. Sie öffnet ihre Tasche einen Spaltbreit, um einen Blick auf das Handy zu werfen: Auf dem Display leuchtet der helle Streifen, der einen nicht angenommenen Anruf oder eine sms oder beides anzeigt. Ihr fällt ein, dass sie Stefano weder angerufen noch ihm geschrieben hat, seit sie losgefahren ist; sie begreift nicht, wie sie so lange Zeit nicht daran denken konnte.
    Jetzt steht Daniel Deserti vor einer Haustür, drückt auf eine Klingel.
    Sie bleibt etwas abseits stehen, mit klopfendem Herzen und widersprüchlichen Impulsen. Sie möchte ihn wenigstens fragen, wo sie genau sind, doch scheint es ihr zu spät, unwichtig im Vergleich zu allem Ungefragten und Ungesagten, das zwischen ihnen ist.
    Er drückt erneut auf den Klingelknopf, dreht sich zu ihr um, lächelt sie an. Wie auch immer man sein Verhalten auslegt, es hat nichts von der zurückgebliebenen Art des kindischen Mannes, über den sie in der Raststätte gesprochen haben: Die Aura eines erwachsenen Machos umgibt ihn bei allem, was er tut, und das findet sie gar nicht vertrauenerweckend.
    Sie zwingt sich, ebenfalls zu lächeln; doch ihre Gedanken sind so verworren wie ihre Empfindungen, schwankend, ein Riesendurcheinander.
    Aus der Sprechanlage sagt eine heisere misstrauische Stimme: »Oui?«
    » C’est Daniel«, antwortet er.
    Nach zwei Sekunden macht es klick, das Schloss springt auf.
    Er drückt die Türe auf, tritt in den dunklen Eingang. Sie folgt ihm, sieht aber fast nichts außer dem Widerschein des schwachen Lichts von der Gasse. Beide tasten an der Wand nach einem Schalter, stoßen aneinander.
    Plötzlich wird es hell im Raum; eine große, dünne Frau mit kurzen, beinahe senkrecht abstehenden blonden Haaren kommt hüpfend eine seitliche Treppe herunter. Leicht theatralisch bleibt sie auf der letzten Stufe stehen; mit vermutlich holländischem Akzent sagt sie: »Mal wieder eine kleine Programmänderung á la Deserti!«
    »Heeey, Nicolina!« Er lässt den Sack fallen, den er über der Schulter trägt, läuft auf sie zu.
    Sie umarmen sich fest, die Frau klettert fast an ihm hoch, umschlingt ihn mit Armen und Beinen.
    Clare beobachtet die Szene: Ob das wohl die Exfrau ist, von der er gesprochen hatte? Sie fragt sich, in was für eine Lage sie sich da gebracht hat, ohne wenigstens die unvermeidlichsten Fragen zu stellen, und wie sie nun wieder herauskommen soll.
    Endlich lösen Daniel Deserti und die Frau sich voneinander, drehen sich beide zu ihr um. Er macht eine eher förmliche Handbewegung: »Nicole, Clare«, stellt er vor, ohne sich im Traum einfallen zu lassen zu erklären, wie seine Beziehung zur einen und zur anderen aussieht. Entsprechend misstrauisch geben sich die beiden Frauen die Hand: mit ausgestrecktem Arm und vorgereckt, als hätten sie Angst, einen elektrischen Schlag zu bekommen.
    »Hast du geschlafen?«, fragt er Nicole, mehr belustigt als besorgt.
    »Ach, zum Schlafen ist es zu heiß«, sagt Nicole. »Ich habe mit einem eisgekühlten Glas Wein auf dem Fensterbrett gesessen.« Sie sieht aus wie ein nordeuropäischer Rockstar, fast weiße Haut, feine Gesichtszüge.
    »Du gibst uns natürlich mein Lieblingszimmer?« Er deutet nach oben, und sein Gesicht verrät eine Vorfreude, die weder zu einem zivilisierten Erwachsenen, noch zu einem kleinen Jungen passt, sondern eher zu einem Wilden, so wie auch sein dunkler Blick.
    »Aber nur für heute Nacht«, sagt Nicole.
    »Auch für morgen Nacht«, sagt er.
    Nicole schüttelt den Kopf: »Morgen kommen Holländer, die eine Woche bleiben. Sie haben das Zimmer schon letztes Jahr gebucht.«
    »Eine Nacht lang bringst du sie in einem anderen Zimmer unter«, sagt er. »Unter Landsleuten versteht ihr euch doch, komm schon.« Er greift nach seinem Reisesack, als wäre die Sache erledigt, geht zur Treppe.
    Im Gänsemarsch steigen sie die hohen Steinstufen hinauf, er vorneweg, Clare und Nicole hinterher. Es ist ein stattliches Gebäude mit

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