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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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Küsse, und drückt auf »Absenden«. Sie will sich einreden, dass sie nichts Falsches geschrieben hat, aber es funktioniert nicht. Sie pinkelt, wäscht sich Gesicht und Hände. Der Spiegel über dem Waschbecken ist klein, besser so, denn in diesem Moment erträgt sie kaum den Gedanken, sich gespiegelt zu sehen, ihr genügen die hässlichen Bilder, die sie von sich im Kopf hat. Auch ein paar Bilder von Alberto sind dabei, der auf und ab geht und heult und herumfuchtelt, trotzig wie ein großes verlassenes Kind; von Stefano, der sie durch das Möbelgeschäft führt, mit seinen plötzlich gereiften, konstruktiven Absichten, seinen langfristigen Plänen, die er mit ihr teilen will. Und sie ist nur zu Ratlosigkeit und Gehemmtheit fähig, zweifelt an sich selbst, an den Männern, am Leben. Welchen Sinn hat diese Flucht, die womöglich alles zerstört, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hat oder aufbauen hat lassen? Was soll sie bringen?
    Sie geht zur Tür, hält mit der Hand auf der Klinke inne, den Kopf voller Sätze, Betonungen, sogar Gesichtsausdrücke, um Daniel Deserti zu sagen, dass ihr Ausflug ein Missverständnis ist und ihr Kuss in der Raststätte ein dummer Fehler, dass es ihr hier überhaupt nicht gefällt, dass sie allein schlafen will, egal in welchem Zimmer, dass sie morgen am nächsten Bahnhof den ersten Zug nehmen und nach Mailand zurückfahren will, dass sie sich nicht wohl fühlt, dass ihr nicht bewusst war, wie viel auf dem Spiel steht, dass es ihr nur zu bewusst ist, dass es ihr leid tut, dass er es war, der sie so gedrängt hat, dass sie einfach nichts weiß, gar nichts. Die möglichen Sätze werden immer mehr, ihr Herz schlägt immer banger, sie schwankt zwischen einem Impuls und dem anderen. Zuletzt reißt sie mit einem Ruck die Tür auf, tritt in das große Zimmer, das jetzt dunkel ist, abgesehen von dem Streifen Mondschein, der aus dem Garten durch die weit geöffneten Fenster hereinfällt.
    Daniel Deserti sitzt bequem zurückgelehnt auf einem der Stühle, die Füße auf dem runden Tisch, wo die Flasche und zwei Gläser bereitstehen. Die heiße Luft von draußen mischt sich mit der heißen Luft im Raum, wie wenn zwei tropische Meere zusammenfließen. Er dreht sich nicht um, spürt aber ihre Schritte auf dem vibrierenden Boden, der die Schwingungen bis zu den Wänden weiterleitet. »Bist du müde?«
    »Ja«, antwortet sie halblaut, ein klein wenig erleichtert, dass das eine gute Entschuldigung für einen Rückzug sein könnte.
    »Ein echter Schock, oder?«, sagt er. »Was?« Sie erschrickt: Ahnt er etwa, was gerade in ihr vorgeht?
    »Das hier«, sagt er. »Wenn aus der bloßen Vorstellung, mit jemandem an einem bestimmten Ort zu sein, plötzlich etwas Konkretes wird. Die beiden Ebenen stimmen nie so magisch überein, wie man gern möchte, nie. Es gibt tausend unvorhergesehene Einzelheiten, zu viele Dinge, die nicht passen. Du wirst von der Wirklichkeit erdrückt wie von einer Ladung Zement.«
    Seine Worte entsprechen in beängstigender Weise genau dem, was sie fühlt.
    »Vielleicht sollten Menschen wie wir viel langsamer reisen«, sagt er. »Zu Fuß, oder mindestens sollten sie alle paar Dutzend Kilometer anhalten, um die Veränderungen nach und nach zu verarbeiten.«
    »Menschen wie wir?« Sie ist nicht ganz sicher, ob sie richtig gehört hat. Nach den vier Stunden ununterbrochenen Lärms hat sie ein Ohrensausen und ist alles andere als klar im Kopf; auf keine ihrer Wahrnehmungen kann sie sich hundert Prozent verlassen.
    »Wie du und ich.« Endlich dreht er sich zu ihr um.
    Ganz kurz meint sie, dass sich ihr Wirrwarr von Empfindungen und Gedanken auflöst in dem Halbdunkel, das sie von ihm trennt. Ihr ist, als schwankte sie, aber vielleicht ist es der Fußboden oder noch eine Nachwirkung der Vibration im Auto.
    »Hier.« Er reicht ihr ein Glas.
    Sie zögert, dann nimmt sie es - es ist kalt.
    Er prostet ihr zu, stößt mit ihr an, kling. »Auf die Trostlosigkeit aller Übergänge.« Sein Gesicht ist im Licht, verschwindet im Schatten.
    Sie nimmt einen Schluck: Der Rose ist trocken, mit einer kaum wahrnehmbaren aromatischen Note, und gleitet eiskalt wie eine Klinge ihre Kehle hinunter zwischen die verkrampften Magenwände. Sie stellt das Glas auf den Tisch, zieht die Sandalen aus, schiebt sie an die Wand, geht an eines der großen offenen Fenster, schaut hinaus.
    Dann bebt der Boden unter seinen Schritten, als er zu ihr tritt. Beide schauen hinaus: die große Platane mit dem fleckigen

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