Sie und Er
liegen sie zuerst vor uns, prall und verheißungsvoll, und einen Moment später, schwupp!, sind sie vorbei.«
»Ich weiß, aber wir sehen uns ja Ende August, oder?« Jennys weiser Ton bricht ihm schier das Herz, fast wie der Gedanke, dass sie und ihr Bruder in wenigen Stunden im Flugzeug sitzen, das sie weit weg bringt.
»Ja, klar.« Er versucht den selbstsicheren Vater zu spielen, aber ganz gelingt es ihm nicht. In Wirklichkeit, denkt er, waren ihre gemeinsamen Tage vorwiegend eine Katastrophe, erst gegen Ende haben sie sich etwas besser verstanden.
Jenny legt das Brot auf das Holzbrett, schneidet es in Scheiben, nicht zu dünn und nicht zu dick, ihre Präzision ist bewundernswert. »Und wenn diese Tage so schnell um waren, werden auch die bis Ende August rasch vergehen, meinst du nicht?«
»Ja, und alle anderen auch«, erwidert er, ohne zu überlegen.
Sie dreht sich um und sieht ihn beunruhigt aus ihren hellen Augen an.
Ihm wird klar, dass er unbedingt umschalten muss: »Jedenfalls, wenn du als Erwachsene immer noch Konditorin werden willst, investiere ich in deine Backstube.«
»In mein Geschäft mit eigener Backstube«, berichtigt sie ernst, während sie zwei Brotscheiben in den Toaster schiebt.
»In dein Geschäft mit eigener Backstube«, wiederholt er. Jenny schließt halb die Augen: »Was meinst du mit investierend«
»Ich werde Geld reinstecken«, sagt er. »Als dein Teilhaber. Vielleicht könnte ich auch mitarbeiten. Du würdest natürlich die unumstrittene Chefin bleiben.«
Mit einem Kaffeelöffelchen probiert Jenny ein wenig Himbeermarmelade. »Und deine Arbeit?«, fragt sie. »Deine Bücher?«
»Schluss mit Büchern«, sagt er. »Allerdings könnte ich kleine Geschichten schreiben, die von deinen Kuchen handeln.«
»Das will ich selber machen«, sagt Jenny. »Die Geschichten der Kuchen erzählen, mit oder in den Kuchen. Oder durch die Kuchen.«
»Aber sicher«, antwortet er. »Dann könnte ich dir einfach ab und zu als Gehilfe zur Hand gehen. Wenn du mich willst.«
Jenny lacht, sieht ihn in Abständen an.
»Ernsthaft«, sagt er. »Ich habe mir schon immer eine Arbeit gewünscht, die nicht aus Luft besteht und nicht vom Mond und den Wolken abhängt.«
»Deine Arbeit besteht nicht aus Luft«, erwidert sie. »Sie besteht aus Wörtern. Und auch die Herstellung von süßen Sachen hängt vom Mond und den Wolken ab, wenn sie besonders gut sind.«
»Ich weiß.« Die klaren Vorstellungen seiner Tochter beeindrucken ihn dermaßen, dass ihm ganz flau wird. »Deswegen freut es mich, dass du dich dafür begeisterst.«
»Gibst du mir mal die Butter?«
Er öffnet den Kühlschrank, um die Butter herauszuholen, versucht dabei, sich auch die Flasche Wodka zu angeln, aber seine Tochter fixiert ihn. Er lässt es bleiben, obwohl er es sehr schwierig findet, diese Situation vollkommen nüchtern durchzustehen.
Will kommt in die Küche zurück, gewaschen, gekämmt und angezogen, bereit für die Reise. Er zeigt auf seine Armbanduhr: »Ich will ja nicht drängen, aber in einer Stunde müssen wir los.«
»Eine Stunde ist lang«, sagt Deserti, auch wenn ihm zum Heulen zumute ist. »Da ist Platz für ein phantastisches Frühstück und tausend andere Sachen.« Natürlich weiß er, dass die Stunde, die vor ihnen liegt, gleich wie alle anderen Stunden, Tage und Jahre seines Lebens fortgeschwemmt wird vom unaufhaltsamen Strom der Zeit.
»Hauptsache, wir verpassen das Flugzeug nicht.« Will lacht, aber er redet nicht von einem gänzlich unwahrscheinlichen Risiko.
»Wann hättet ihr je meinetwegen das Flugzeug verpasst?«, fragt Deserti.
»Mindestens, warte -« Will zählt an den Fingern ab: »Drei Mal!«
»Ach was, nur einmal, und das war nicht meine Schuld«, sagt Deserti. »Da hat die Londoner U-Bahn gestreikt, der ganze Verkehr war lahmgelegt.«
»Auch einmal in Spanien«, sagt Jenny, während sie weiter die Toastscheiben akkurat mit Butter bestreicht.
»Und damals in Mailand?«, sagt Will. »Vor drei oder vier Jahren, als ich am nächsten Tag wieder in die Schule musste?«
»Aaaah, jetzt seid doch nicht so unnachsichtig«, sagt er. »In den allermeisten Fällen wart ihr rechtzeitig am Flughafen. Sonst würde euch eure Mutter bestimmt nicht mehr zu mir kommen lassen.«
Bei der Erwähnung ihrer Mutter verstummen die Kinder, wie die Repräsentanten eines neutralen Staates, die versuchen, sich aus den Händeln zweier kriegführender Großmächte herauszuhalten.
Er hat seine Bemerkung schon bereut, öffnet den
Weitere Kostenlose Bücher