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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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Gedanken.
    »Könnte ich mal die zwei Gläser bekommen?« Mit dem Daumen drückt Daniel Deserti den Korken heraus: Es gibt einen Knall, der Korken fliegt über die Ranken der Pergola, der Schaum läuft den Flaschenhals hinunter auf seine Hose, auf das Gras des Rasens.
    Sie eilt mit den Gläsern zu ihm, hält sie ihm hin, während er die rosa Flüssigkeit eingießt.
    Es hat etwas Surreales, als sie sich kurz zuprosten, beide verlegen. Der Spumante ist gut, wenn auch mittlerweile fast lauwarm, die Gläser sind dickwandige Wassergläser; die Zikaden lassen nicht locker.
    Daniel Deserti streicht mit der Hand über die Bretter des alten Tisches, dreht sich um und betrachtet die zwischen den Olivenbäumen gespannte Hängematte, die zwei verblassten Rattansesselchen, den Stumpf des Feigenbaums, der wegen Alberto eingegangen ist und den sie noch nicht beseitigt hat.
    Sie weiß nicht genau, was sie tun soll: ihm erneut sagen, dass sie jetzt wirklich aufbrechen muss, ihm erzählen, wie ratlos und wütend sie sein Buch gemacht hat, über allgemeine Themen plaudern, hineingehen, den Rucksack nehmen, die Tür abschließen, den Helm aufsetzen und ohne weitere Erklärungen auf den Motorroller springen? Sie schwankt zwischen diesen unterschiedlichen Impulsen, doch keiner scheint stärker als die anderen zu sein.
    Er trinkt sein Glas Spumante aus, geht über den unebenen Rasen, folgt der Lorbeerhecke und kommt wieder auf sie zu, hört aber nicht auf, die Einzelheiten rundherum aufzunehmen: »Dieser Ort ähnelt dir«, sagt er mit einer Handbewegung.
    Sie ist überrascht von seinen Worten, davon, dass er sie plötzlich duzt.
    »Er hat die gleichen Grundelemente«, sagt er.
    »Was weißt du von meinen Grundelementen?« Sofort denkt sie, dass sie sich mit dieser Antwort schon eine Blöße gegeben hat.
    »Ich sehe sie.« Er blickt ihr in die Augen, streckt die Hand aus und streicht ihr über eine Seite des Kopfes. Es ist keine wirkliche Liebkosung: Er berührt nur leicht ihre Haare, das linke Ohr, das Kinn.
    Sie dreht den Kopf ein wenig weg, aber das Gefühl seiner Finger löst noch sekundenlang, nachdem er sie zurückgezogen hat, einen feinen Schauer in ihr aus.
    »Hier kannst du sein, wie du wirklich bist.« Er lächelt, seine Lippen zittern leicht: Auch er wirkt ziemlich offen, seltsam verletzlich.
    »Mag sein.« Sie schluckt; es ist zu wenig Abstand zwischen ihnen, sie begreift nicht, wie das passieren konnte.
    »Das habe ich von Anfang an gespürt.« Seine Stimme klingt warm, hat die gleiche Temperatur wie das Licht.
    »Was heißt von Anfang an?« Ihr ist, als könnte sie sich nicht von der Stelle rühren.
    »Da im Regen«, sagt er. »Du warst eine Lichtgestalt in all dem Grau.« Wieder streckt er die Hand aus, berührt ihr linkes Ohr, ihre Haare. Diesmal weicht sie nicht aus; wieder überläuft sie ein Schauer, noch tiefer. Sie atmet ein, fühlt sich innerlich zerfließen, aber nicht wegen der Hitze, auch wenn die gewiss ihren Anteil daran hat.
    »Du hattest alle diese Farben in den Augen«, sagt er. »Du fielst völlig aus dem Rahmen. Als kämst du von einem anderen Stern.«
    Endlich bewegt sie sich, um sich der Berührung zu entziehen, wenn auch mit unglaublicher Verspätung. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich an viel erinnerst. Du hast einen ziemlich verwirrten Eindruck gemacht.«
    Er lacht, dreht sich um und beobachtet eine Katze, die die Treppenstufen herunterstolziert und sich dann an seinem Hosenbein reibt; er bückt sich, krault sie am Kopf. Irgendwo rattert eine Mähmaschine, so ausdauernd wie die Zikaden.
    »Möchtest du noch ein Glas?«, fragt sie. Gleich danach denkt sie, dass sie ihm so ein Angebot eigentlich nicht machen dürfte, aber ihr scheint auch, dass sie nicht viel Kontrolle über das Geschehen hat.
    »Gern«, sagt er, noch immer die Katze streichelnd. »Vielleicht könntest du die Flasche vorher kalt stellen.«
    Sie nimmt die Flasche, geht die Treppe hinauf ins Haus; sofort kühlt der Schatten ihre Haut, dafür erhitzt er ihr Blut umso mehr. Deserti folgt ihr bis zur Tür, wirft einen Blick hinein, bleibt aber auf der Schwelle stehen. Sie öffnet das Kühlfach, schiebt die Flasche hinein. »Das wird wohl eine Weile dauern«, sagt sie.
    »Vermutlich schon«, sagt er. Er tritt ein paar Schritte zurück, löst sich fast auf im gleißenden Licht.
    Sie geht ins obere Stockwerk, betrachtet sich atemlos im Spiegel an der Badezimmertür. Ihre Pupillen sind geweitet, die Haare zerzaust: Sie erkennt sich beinahe

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