Sie und Er
Die diversen Techniken kommen ihm teilweise wieder in den Sinn: wie man in der Kurve das Gewicht verlagert, das Gas benutzt, um die Stabilität zu halten. Langsam macht es ihm auch Spaß; die warme Luft weht ihm entgegen, ins Gesicht und durch das Hemd, trocknet den Schweiß. Sie fahren an Gärten und Terrassen mit Olivenbäumen vorüber, durchqueren ein Waldstück mit hohen Kastanien.
Genau am steilsten Punkt ist ein Engpass zwischen zwei sehr nahe beieinanderstehenden Häusern, dann folgt eine Kurve, eine Kirche, ein kurzes Stück bergab; sie kommen auf einer Staatsstraße heraus. Sie berührt ihn von hinten an der linken Hüfte: »Nach links«, sagt sie.
Er biegt ab. Dann berührt sie ihn an der anderen Hüfte, und er biegt nach rechts ab, und plötzlich sind sie auf der anderen Seite des Hügels, wo die Sonne wieder mit unerwarteter Kraft die Szene beherrscht: orangefarbenes Licht färbt die Luft, ergießt sich über die rosa und gelben Häuser des Dorfes, über die Küste und die Weite des Meeres, das unter ihnen glitzert.
»Heeey!«, sagt sie, schlingt ihre Arme um seine Taille, schmiegt sich an ihn.
Die Sonne, das Licht, die Aussicht und die Empfindungen bei dieser Berührung stürmen gleichzeitig auf ihn ein, so dass er eine Sekunde lang den Eindruck hat, er bewege sich weder vorwärts noch rückwärts, sondern schwebe. Ein überraschender und doch bekannter Zustand, geboren aus dem Augenblick, in dem sie sich gerade befinden, und aus einer irgendwo in den Falten seines Gedächtnisses verborgenen Erinnerung. Die Überraschung bringt ihn ins Schleudern: Der Roller schwankt ein paar Meter hin und her, bevor er ihn wieder unter Kontrolle hat.
Sie lockert die Arme, drückt ihn wieder an sich. Sie fahren die kurvige Straße hinunter wie bei einer Phantasiereise mit offenen Augen, völlig versunken in den Körperkontakt, die Temperatur der Luft, die flimmernden Farben, das Ausbalancieren des Motorrollers, der brummt wie ein großes Insekt. Sie sehen die Küstenlinie von weit oben, doch geht es Serpentine für Serpentine bergab. Sie kommen an Hausgärten mit Bougainvilleakaskaden, Palmen und Zitronenbäumen vorbei, an Terrassen und Toren. Sie durchqueren das hässliche Neubauviertel eines Dorfes und folgen der Küste weiter unten, viel näher am Meer. An einer bestimmten Stelle streckt sie den linken Arm aus und schmiegt sich erneut an ihn: »Hier entlang.«
Er biegt in eine kleine abschüssige Straße ein, fährt langsam weiter, bis sie sagt: »Okay.«
Sie steigen ab. Er stellt den Roller auf den Ständer, nimmt den Helm ab. Eigentlich fällt ihm alles recht leicht, dennoch fühlt er sich viel gehemmter als zuvor in der fließenden Bewegung des Rollers: zu sehr von der Schwerkraft bestimmt, zu sehr in jede Bewegung verhakt, zu sehr Sklave seines Gesichtsausdrucks.
Auch sie nimmt den Helm ab, schüttelt die Haare, lächelt. Sie geht einen schmalen Weg zwischen zwei hohen Mauern entlang, hinter denen sich Blumen- oder Gemüsegärten verbergen. Er folgt einige Schritte hinter ihr, bemüht sich, unbefangen zu wirken, nur im Hier und Jetzt verhaftet. Doch je länger er ihre Leichtigkeit beobachtet, umso bewusster wird ihm, wie schwer er sich fühlt. Er fragt sich, ob auch sie einen Widerstand überwinden muss, um sich so fließend und scheinbar leicht zu bewegen. Er kommt nicht dahinter, ob seine Unsicherheit von einem Übermaß an Selbstkontrolle herrührt oder ob sein Urteilsvermögen ernsthaft Schaden genommen hat.
Der Weg öffnet sich, unter ihnen liegt das Meer, und jetzt mischt die Sonne rötliche und goldene Töne am Himmel und auf der welligen Wasserfläche. Sie steigen eine in den Stein gehauene Treppe hinunter, folgen einem gepflasterten Pfad, der an den Felsen entlangführt bis zu einer kleinen Reihe von Tischen, die an einer Bar endet. Da sind Leute, die trinken und reden und das Licht- und Farbenspiel am Horizont betrachten; Satzfetzen und Gelächter, die von der lauen Luft verschluckt werden, Gesten, Blicke, Gläser, Zigaretten.
Sie setzen sich an ein Tischchen voller leerer Gläser und Tellerchen, Krümel, zerbröckelter Kartoffelchips. Die Stühle wackeln auf den ungleichen Steinen: Sie stützen sich beide mit den Füßen ab, schauen hinunter auf die von kleinen, glänzenden Wellen umspülten Klippen.
Ein Junge mit Bart und langen Haaren kommt aus der Bar und räumt den Tisch ab, macht eine kleine Verbeugung mit zusammengelegten Händen, irgendwie orientalisch. Die Moletto grüßt ihn
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