Sie waren zehn
Rübenfeld weg zu dem schmalen Bach, der die Westseite des Feldes begrenzte. Dort suchte er nach einem Versteck, fand aber keins, und entschloß sich, den Schirm in der Nähe der Kolchose abzulegen.
Der Gedanke amüsierte ihn, so gefährlich seine Situation im Augenblick auch war. Man stelle sich vor: Irgendwann – vielleicht in drei oder vier Tagen – findet die brave Bäuerin unter einem Haufen Stroh vom Vorjahr einen Ballen Seide, an dem viele Strippen und Gurte hängen. Es kann nun sein, daß die gute Frau schon etwas von Fallschirmen gehört hat oder sogar weiß, wie solch ein Ding aussieht – aber möglich ist auch, daß sie noch nie gesehen hat, wie so ein riesiger Pilz durch die Luft schwebt, und nur weiß: Hier liegt Seide! Viel Seide. Eine ganze Wolke aus Seide. Heilige Mutter von Kasan, was alles kann man da draus machen! Kleider, Hemdchen, Unterhosen, Blusen, Kopftücher … für ein paar Jahre reicht das, was sage ich: ein Leben lang braucht man keine Sorgen mehr zu haben, wie man den Körper bedeckt, ja man wird bald so schick aussehen wie die verdammte Hure Rajetschka , die mit Offizieren und dicken Parteibonzen im Bett und im Heu und sogar hinter dem Ferkelstall liegt, und dafür Bezugsmarken erhält, mit denen sie in Naro-Fominsk die schönsten Fummel kaufen kann. Bestickte Blusen, in denen ihre Brüste hängen wie Birnen in einem engen Sack. Röcke, die sie um ihren dicken Hintern zieht, als sei's eine zweite Haut, und in denen sie herumstolziert, daß man bei jedem Schritt ihre Arschfalte sieht. Das leiste ich mir jetzt auch, Rajetschka , du elendes Luder. Ein Gebirge von Seide liegt vor meiner Tür … Wem gehört's? Wen kümmert es? Der Vorbesitzer wird schon schweigen, denn geklaut hat auch er's! Ha, wird Iwan Michailowitsch Augen machen. Große Augen. Geile Augen, wenn seine Sojuschka mit einem seidenen Blüschen ins Zimmer hüpft und ihn überrascht. Iwan ist da wie alle Männer … der bekannteste Körper wird wieder interessant, wenn er in einer neuen Hülle steckt. Daran soll es jetzt nicht fehlen … wir haben Neuheiten auf Jahre hinaus.
Boranow pfiff leise vor sich hin, schritt kräftig aus, erreichte einen von Traktoren und Karren ausgewalzten Fahrweg und sah aus dem fahlen Nachtdunkel die ersten Dächer der Kolchose auftauchen. Da verhielt er den Schritt, lauschte wie ein verhoffendes Wild und wartete. Aber drüben rührte sich nichts. Nicht einmal ein Hund bellte. Boranow überlegte, schlug einen Bogen und schlich sich von der Scheunenseite heran. Er erreichte einen Schuppen, dessen Tür weit offenstand und im leichten Wind hin und her pendelte. Die Scharniere knirschten im Rost und übertönten seine Schritte auf dem grob gepflasterten Boden. Boranow schlüpfte in den Schuppen, sah ihn gefüllt mit alten Kisten, die gestapelt oder nur aufeinandergeworfen den ganzen Raum ausfüllten, zwängte sich, nachdem er den Fallschirm abgelegt hatte, fast lautlos in den Kistenberg, drang bis zur Rückwand vor und holte dann das Seidenbündel nach. In eine große Kiste, ganz hinten, stopfte er den Fallschirm, legte einen Deckel darüber und verbaute bei der Rückkehr wieder seinen Weg. Wenn sie Kisten brauchen, dachte er, werden sie nicht hinten, sondern vorne beginnen, wer täte das nicht? Bis sie an der Rückwand angelangt sind, wird's dauern; bis dahin gibt es keine Spur mehr. Und wenn die Kolchose einen klugen Natschalnik hat, wird er den Mund halten und den Himmel bitten, daß man alles schnell vergißt. Ein Untersuchungskommando des NKWD ist kein angenehmer Gast …
Boranow schlich aus dem Schuppen und hetzte durch die Nacht davon. Erst nach ein paar hundert Metern, aus der Sichtweite der Kolchose und am Rande eines mageren Birkenwäldchens, hielt er ein, gönnte sich ein paar Schnaufer Ruhe, lehnte sich weit und schweratmend gegen einen Birkenstamm und wischte sich mit dem Jackenärmel den Schweiß vom Gesicht.
Geschafft, dachte er. Das hätten wir geschafft. Nun bin ich ein normaler sowjetischer Bürger. Moskau ist nicht mehr weit, ich kann mir den Weg aussuchen. Von Naro-Fominsk fährt eine Eisenbahn bis Moskau, aber Züge werden kontrolliert, und wenn ein gesunder junger Mann fröhlich dasitzt und aus dem Fenster schaut, knallt ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter, und eine harte Stimme fragt: »Was ist denn mit dir los, Genosse?! Nicht in Uniform? Zeig deinen Ausweis her!« Und mag der Ausweis dann noch so schön in Ordnung sein – unangenehme Diskussionen gibt's
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