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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Semjonowna. »Keine schwere Arbeit, Fedja. Holzbretter zusammennageln.«
    »Auf dem Bau?« Iwanow sah Wanda nachdenklich an.
    »Bist du schwindelfrei? Das mußt du sein … Wir bauen zur Zeit an einer Seite des Kremlpalastes …«
    Durch Iwanow fuhr ein heißer Strom. Er nahm dem freundlichen Nachbarn die Wurst aus der Hand, biß noch ein Stück ab und kaute schmatzend. Im Kreml! Vor Stalins Tür! Oberst von Renneberg im fernen Eberswalde – so viel Glück gibt es doch gar nicht!
    »Ich tanze auf einem Seil, wenn ihr es zwischen die Kremltürme spannt«, sagte er überzeugend. »So schwindelfrei bin ich! Und mit dem Hammer arbeiten – das kann ich! Wanda Semjonowna, Sie werden begeistert sein, wie ich mit meinem Hammer umgehen kann!«
    Es war unerfindlich, warum das Weibchen sich plötzlich zart rötete, aber es war so. Iwanow grinste unverschämt. Sie arbeitet im Kreml, dachte er. So eine Gelegenheit kommt nie wieder. Vielleicht kann man sogar durch ein Fenster in Stalins Zimmer blicken und vom Gerüst eine Handgranate vor seine Füße werfen. So einfach könnte Weltgeschichte gemacht werden. Könnte …
    Der phantastische Gedanke setzte sich sofort in ihm fest. Wanda Semjonowna zuckte mit den Mundwinkeln und rieb die Stiefel aufeinander. Ihr Apfelbusen atmete stärker und schneller.
    »Wir können darüber sprechen«, sagte sie etwas belegt. »Ich bin sicher, daß der Brigadeleiter Sie nicht abweist, wenn Sie Ihre Narbe zeigen, Fedja. Für unsere Helden tun wir in der Heimat alles …«
    Am Bahnhof von Kosterowo hielt der Zug nach Moskau, von Gorkij kommend, nur auf Wunsch. Das sah dann so aus, daß der Bahnhofsvorsteher eine gelbe Fahne hißte, die man weithin sehen konnte. Telefonisch war da gar nichts zu machen, obwohl es leicht war, den Kollegen in Sobinka anzurufen und zu sagen: »Da will einer von uns mit in die Stadt. Gib dem Zugführer Bescheid.« Aber meistens kamen die Halunken, die den Zug benutzen wollten, erst im letzten Augenblick, und da nutzte nur die gelbe Fahne, um zu signalisieren: Halt! Hier leben auch Genossen, die Sehnsucht nach Moskau haben.
    An diesem Morgen war Luka Iwanowitsch Petrowskij einer von vieren, die auf den Zug warteten. Er war die Nacht über von seiner Absprungstelle quer durch die Felder marschiert, ohne jemanden zu treffen. Im Fluß Kjasma nahm er ein Bad, fühlte sich danach so frisch, daß er einen unbändigen Hunger bekam, und tauschte am Rand von Kosterowo ein wenig Tabak gegen zwei rohe Gurken, die er auffraß, als seien es gebratene Schweinelenden.
    Als höflicher Mensch machte er sich mit den anderen Wartenden bekannt, teilte mit dem mürrischen Bahnhofsvorsteher eine Zigarette und erfuhr zu seinem großen Schrecken, daß gerade auf dieser Bahnlinie viele Offiziere der Roten Armee von Gorkij nach Moskau fuhren. In Gorkij war eine Offiziersschule für spezielle Einsätze, auch wurden dort Lehrgänge für den Generalstab abgehalten. Das hat Milda Ifanowna nicht erwähnt, dachte Petrowskij. Da ist ihr ein Fehler unterlaufen. Holde Milda, auch du bist nicht vollkommen! Man hätte sonst bestimmt einen anderen Absprungort gewählt.
    Er erzählte den ergriffen Lauschenden auf dem Bahnsteig von seinem Magengeschwür, das ihn gegenwärtig kriegsuntauglich mache. »Ein Jammer ist es, Genossen«, sagte er traurig. »Da zerrt und blubbert es im Magen, und wenn ich rülpse – wer muß das nicht? – kommt ein Geschmack hoch, als hätte ich Jauche gesoffen. Paßt mal auf!«
    Er würgte etwas, der Mageninhalt stieg bis zur Speiseröhre, und dann ging er herum und hauchte jeden an. Da er eben die frischen Gurken gegessen hatte, roch er tatsächlich wie faulig Gegorenes, und die Mitreisenden bedauerten ihn mit erstarrten Mienen.
    »Warum operiert man nicht, Luka Iwanowitsch?« fragte der Bahnhofsvorsteher. »So ein dreckiges Geschwürchen …«
    »Fragt die Ärzte!« rief Petrowskij bitter und anklagend. »Sie röntgen mich, pumpen wir den Magen aus, Schläuche muß ich schlucken, eine ganze Rolle voll … aber dann schicken sie mich weg! Was tun sie mit mir? Pillchen bekomme ich, viel Milch soll ich trinken … Ich frage euch, wo bekomme ich so viel Milch in diesen Zeiten? Nicht aufregen soll ich mich, wo es doch Aufregung genug gibt, wenn ich Jauche atme … Ach, liebe Freunde, es ist ein grausames Schicksal, krank zu sein! Vielleicht operieren sie nicht, weil es gar keinen Sinn mehr hat. Ich bin für die schon tot …«
    Dann lief der Zug ein, hielt bei der gelben Fahne, und

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