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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einen Vorwurf. Man muß verlieren können.«
    »Ganz Deutschland wird verlieren!« sagte Kutusow laut. »Wir werden ganz Deutschland vernichten! Wir werden es so zerstören, daß es nie wieder die Welt in Unordnung bringen kann! Es wird nie mehr einen deutschen Soldaten geben.«
    »Welch ein Traum! Eine Welt ohne Soldaten! Eine friedliche Menschheit! Kutusow, ich erlebe es nicht mehr, aber vielleicht Sie. Ich fürchte allerdings, die Generationen nach uns werden genauso unbelehrbar und genauso zerstörungswütig sein wie wir! Es wird sich nichts ändern! Die Massen werden sich immer von ein paar einzelnen fanatisieren lassen und jeden Ansatz von Ordnung zerschlagen. Es ist die Natur des Menschen, unbelehrbar und beeinflußbar zu sein …«
    »Schlagt ihm in die Schnauze!« schrie der aus den Fugen geratene Omelko . »Er beleidigt sogar unsere noch ungeborenen Kinder!«
    Sassonow verließ das Büro, ging an der blassen Lisa Nikolajewna vorbei, die bei diesem Anblick wie ein Kind zu weinen begann, und stieg dann unten in das Auto des NKWD. Anton Michailytsch Ukleikin, der Portier, hüpfte aus seinem Verschlag und schrie mit sich überschlagender Stimme:
    »Ich habe es gleich gewußt! Ich habe es ihm angesehen! Aber wer hört denn auf mich? Ein armer Proletarier bin ich ja nur …!«
    Der Major drückte ihn weg wie ein großes Insekt, Ukleikin rutschte aus, hielt sich gerade noch an der Wand fest und spuckte dann kräftig aus.
    In der Moskauer NKWD-Zentrale, einem düsteren Eckgebäude mit einer an den Klassizismus erinnernden Fassade, führte man Sassonow zunächst in eine Art Krankenzimmer.
    Da in den Kellern eine unbekannte Zahl von Inhaftierten saß, deren phantasievolle Selbstverstümmelungen, durch die man weiteren Verhören ausweichen konnte, immer neue Überraschungen bescherten, gab es so etwas wie eine ärztliche Wachstation.
    An diesem späten Abend war das Krankenrevier nur mit einem Sanitäter besetzt. Er betrachtete Sassonows Arm, grinste wortlos und riß ihn mit einem Ruck herum. Sassonow knirschte mit den Zähnen … der Schmerz zersprengte fast seinen Schädel, betäubte ihn gleichzeitig und zerschnitt seine Umgebung in bunte, glitzernde Streifen. Aber dann begriff er, daß er wieder einen Arm besaß, daß er die Finger bewegen konnte und sich der Arm im Schultergelenk drehen ließ. Er hielt ihn mit der linken Hand fest, drückte ihn gegen seinen Körper und atmete schwer. Der Major, der hinter ihm stand, sagte höflich:
    » Jewseij ist ein Künstler in solchen Dingen. Vor dem Krieg war er Sportmasseur. Ein kurzer Schmerz, aber alles ist wieder an der richtigen Stelle! – Können Sie gehen?«
    »Ja.«
    Sassonow wandte sich um. Hier geht es nicht, dachte er. Zuviel Leute um mich herum. Ich habe keinen Platz zum Anlauf. Sonst wäre diese gekachelte Wand ideal … den Kopf gesenkt, mit Schwung dagegen, das ganze Körpergewicht hineingelegt … das hält keine Hirnschale aus. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, sich die Pulsader aufzuschneiden und still zu verbluten. Ein schöner, sanfter Tod ist das; man wird müde und gleitet hinüber in das große Vergessen … Mit einem Aufzug fuhren sie in die vierte Etage, gingen einen langen, getünchten Gang entlang und kamen in ein Zimmer, das nach russischen Begriffen luxuriös eingerichtet war. Neben einem Schreibtisch standen um einen runden Tisch in der Ecke vier Sessel mit einem Kunstlederbezug. Hinter dem Schreibtisch hing ein Bild von Stalin. Er lächelte väterlich und strahlte Wohlwollen aus.
    Sassonow warf einen schnellen Blick darauf. Vor mir bist du jetzt sicher, dachte er. Aber neun andere kreisen dich ein. Wenn sie noch leben …
    Die Tür schloß sich. Außer Sassonow hatte nur noch der Major den Raum betreten. Er nahm Haltung an und grüßte zackig.
    Aus einem Sessel in der Ecke löste sich eine Gestalt und drückte eine Papyrossa in einem Glasaschenbecher aus. Ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit geraden Schultern und mit zu Stoppeln gestutzten, schon grau werdenden Haaren. Er trug eine olivfarbene Uniform mit breiten Schulterstücken und eine doppelte Ordensspange.
    Einige Sekunden musterte er stumm den Mann in dem blutverschmierten Hemd, kam dann um den runden Tisch herum und zog seinen Uniformrock zurecht.
    »Igor Wladimirowitsch Smolka«, sagte er. Seine Stimme war angenehm dunkel und ohne versteckte Drohung.
    »Pawel Fedorowitsch Sassonow, Herr Oberst.«
    Das ist er also, dachte Sassonow. Die Erinnerung an eine Unterrichtsstunde mit

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