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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Einem stotternden oder lecken Motor gleich, lag er vor den für ihn zuständigen Spezialisten und wurde für weitere Dienste zurechtgeflickt. Wie der Motor hieß und woher er kam, war völlig unwichtig; er mußte wieder laufen, und deshalb standen ihm die besten Mechaniker zu. Im Kreml-Krankenhaus, wohin man die hohen Genossen brachte, mochte es anders sein. Aber wen kümmerte das? Was hinter den hohen roten Mauern lag, entzog sich stets aller Kritik.
    »Ein guter Posten«, sagte Sepkin. »Krankenpfleger sind angesehene Menschen. Ich kenne das. Bin ja zweimal verwundet worden. Diplomatisch muß man da sein, muß herumhören, wer ist zuständig für dein Revier, und dann trifft man den wichtigen Bruder irgendwo auf einem Flur und steckt ihm etwas zu. Papyrossi, ein Schnäpschen, ein Stück Wurst, was man gerade so hat. Das zahlt sich aus …«
    Sie rollten durch prunkvolle Stationen mit Marmorwänden und riesigen Gemälden, lichtfunkelnd, Staunen erweckend. Sepkin drückte das Gesicht gegen die Scheibe und war jetzt wie jeder Mensch, der Moskaus Metrostationen zum erstenmal sieht: stumm vor Bewunderung.
    »Ich arbeite auch«, sagte Jelena Lukinischna plötzlich. »Als Sekretärin. Im Kreml.«
    Sepkin zuckte unmerklich zusammen. Es war ihm, als streife ein heißer Wind seinen Nacken. »Im Kreml?« fragte er gegen die Scheibe. »Tatsächlich?«
    »Im Außenhandelssekretariat. Ich sitze in der Abteilung für Nordeuropa.«
    »Sehen Sie ab und zu auch Stalin?« fragte Sepkin ruhig.
    »Bisher habe ich ihn noch nicht gesehen.« Jelena schüttelte den Kopf. »Was soll er bei uns? Er hat andere Sorgen …«
    Sie arbeitet im Kreml, dachte Sepkin und bemühte sich, nicht schneller zu atmen als vorher. Stalin hat sie noch nie gesehen, aber man kann über sie in den Kreml hineinkommen. Die Mauern, die für unüberwindbar gelten, haben plötzlich ein kleines Loch. Ein Mauseloch. Genossen, verachtet mir die Mäuse nicht! So manche Maus hat schon an einem Speck geknabbert, den man für unerreichbar hielt. Sepkin lehnte sich zurück und blickte Jelena bewundernd an. »Was würden Sie tun, Jelena, wenn plötzlich Stalin im Kremlgarten vor Ihnen stünde?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie schob nachdenklich die Unterlippe vor und sah jetzt aus wie ein Schulmädchen, das eine Aufgabe zu lösen hat. »Vielleicht würde ich vor ihm auf die Knie fallen. Er ist unser aller bester, gütigster Vater. Was wären wir ohne ihn? – Und Sie, Piotr Mironowitsch? Was würden Sie tun?«
    Sepkin hob die breiten Schultern. Es wäre eine Sekundensache, dachte er. Wir würden beide mit einem hellen Knall in die Luft fliegen. »Ich würde vor ihm strammstehen!« sagte er mit Würde. »Schließlich bin ich Soldat …«
    Luka Antipowitsch Puschkin hockte in einem alten Plüschsessel und war über der Prawda eingeschlafen, als Jelena die Wohnungstür öffnete. Eine Tischlampe mit einer trüben Birne brannte, es roch nach Tee und angebrannten Piroggen. Als die Tür zuklappte, schrak das Väterchen auf, warf die Zeitung von sich, schnellte aus dem Sessel und entdeckte zuerst Sepkin. Er schien in seinem schmuddeligen Hemd keinen vertrauenswürdigen Eindruck zu machen, denn Luka Antipowitsch warf die Arme hoch und brüllte: »Ein Überfall! Ein Verrückter! Wirft sich auf einen Armen und will ihm die Luft aus den Taschen blasen! Haha! Gleich werden Sie über Ihren Irrtum weinen!«
    »Väterchen!« sagte Jelena beruhigend. Sie stand bereits an der Küchentür. Auf dem Herd verkohlten die vergessenen Piroggen. Es stank grauenhaft, in der Küche wallten blauschwarze Rauchschwaden.
    Puschkin wirbelte herum, starrte sein Töchterchen an und holte tief Luft.
    »Weit nach eins!« schrie er. »Weit nach Mitternacht!«
    »Ich weiß es, Papuschka …« Sie riß die Piroggen vom Herd, öffnete das Fenster und kippte die verkohlten Rollen aus Teig, mit Kohl gefüllt, in einen Abfalleimer neben dem Spülbecken. »Ich werde es dir erklären.«
    »Und wer ist das da?« Luka Antipowitsch zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Sepkin. »Ist das der Grund?«
    »Das ist Piotr Mironowitsch.«
    »Etwas Besseres gibt es wohl nicht in Moskau?! Nicht einmal einen Rock hat er!« Dann sah er endlich, daß Jelena das Männerjackett trug, und er sah auch, daß ihr Kleid schmutzig und zerrissen war, vor allem über den Brüsten. Er schnaufte laut, starrte Sepkin mit zuckenden Augen an, schätzte ihn ab, erkannte, daß der junge Mensch zehnmal stärker war als er, und beschränkte sich deshalb nur

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