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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zerstört; zurückgeblieben war nur der barocke Dicke in seiner theatralischen, hellblauen Reichsmarschall-Uniform. Ein überdimensionaler Hofnarr, von der Tragik überschattet, zwischen Trümmern zu stehen, die eigentlich ein Jahrhundertwerk sein sollten: die unbesiegbare deutsche Luftwaffe.
    »Machen Sie's gut, Dallburg«, sagte der Major, der den kleinen Plejin bis zum Flugzeug brachte. »Ich will gar nicht fragen, was Ihre Kostümierung soll und warum man Sie so weit hinten in Rußland aus dem Himmel fallen läßt. Ich vergesse auch Ihren Namen, den ich nur durch Zufall erfahren habe. Auf jeden Fall ist das, was Sie machen, absoluter Blödsinn!«
    »Da sind wir uns einig.« Der kleine Plejin nahm vor dem Flugzeug die Hacken zusammen und grüßte stramm. »Ich danke Ihnen, Herr Major.«
    »Wie alt sind Sie?«
    »Zwanzig, Herr Major.«
    »Das ist eine Scheiße, was? Los, steigen Sie ein! Wissen Sie, was ich Ihnen wünsche? Einen Motorschaden noch vor der Grenze!«
    »Dann müßte ich morgen nacht fliegen.«
    »Wer weiß, was morgen ist?« sagte der Major ahnungsvoll. »Die Luft ist schwer von Gerüchten …«
    Das Schicksal spielte nicht mit: Plejins Maschine erreichte ohne Motorschaden und unbehelligt von der sowjetischen Luftabwehr – genau wie die anderen neun – das Zielgebiet hinter Moskau. Der fliegende Fähnrich tippte mit der Hand nach unten in die tiefe Dunkelheit. Dann glitt er tiefer, durchstieß eine fahle Wolkenschicht und schwebte lautlos durch die Nacht. Unter ihnen zog ein flimmerndes Lichtband nach Westen; eine Kette winziger, blinkender Sterne. Das war die Rollbahn Jaroslawl nach Moskau, übersät mit Wagenkolonnen, deren bis auf ein Mindestmaß abgedunkelte Scheinwerfer eine neue, schmale Milchstraße schufen. Dort unten rollte ein Nachschub gigantischen Ausmaßes durch das Land, aus der Tiefe Rußlands quollen die Menschen nach Westen, mit dem einzigen Ziel, Deutschland zu vernichten.
    »Zielgebiet Pjereslawl-Saljeresskij erreicht!« meldete der Luftwaffen-Fähnrich trocken. »Wo wollen Sie landen? Auf einem Kanonenrohr oder auf einem Lastwagenkühler?«
    »Wie ist es nördlich mit dem Plejeschtschjejewa-See?« fragte der kleine Plejin.
    »Ich vermute, da liegt alles voll Infanterie.«
    »Noch weiter rauf. In das Sumpfgebiet des Njerl?«
    »Sehen wir uns das mal an.« Das Flugzeug stieg wieder höher und zog in einem weiten Bogen um den See herum, überflog das Flüßchen Njerl und verlor dann wieder an Höhe. Hinter ihnen stachen endlich die fahrbaren Scheinwerfer in den Himmel und tasteten ihn nach dem fremden Geräusch ab. Es war nur eine Formsache, an ein deutsches Flugzeug dachte hier niemand mehr. »Wir sind in der Nähe von Michailowskoje«, sagte der Fähnrich. »Es sieht gut aus. Ich gehe auf Sprungtiefe. In Ordnung?«
    »In Ordnung!« Der kleine Plejin umklammerte die Gurte seines Fallschirms. Plötzlich dachte er an Grandchamps-les-bains, an den schönen Nordseestrand, an das Häuschen mit der winzigen Puppenwohnung, an Gabrielle und ihre Küsse und an ihre zärtliche Stimme, wenn sie ihm völlig verrückte Koseworte ins Ohr flüsterte. Sie war seine erste richtige Frau gewesen, bei ihr hatte er gelernt, daß die Rückenlage nur eine Zuflucht für bequeme ältere Herren war, und daß ein Körper erschreckend viele Möglichkeiten der Liebe bot. Bis zur Willenlosigkeit hatte ihn das fasziniert, und daran mußte er jetzt denken, ausgerechnet jetzt, wo das Flugzeug im Gleitflug tiefer ging und die Erde näher kam. Auf die er sich gleich stürzen mußte. Der Sprung aus dem Leben, von dem er nur eine Frucht hatte kosten dürfen.
    »Fertig?« fragte der Fähnrich.
    Der kleine Plejin nickte. »Fertig.« Er klopfte dem Fähnrich auf die Schulter, ein kameradschaftlicher Abschied, und tappte dann nach hinten zur Tür. Hier hockte ein Gefreiter auf einem Segeltuchstuhl und hatte sich festgeschnallt.
    »Los!« sagte Plejin laut.
    Die Tür flog auf, der Sog riß Plejin fast von selbst aus der Maschine. Mit ausgebreiteten Armen schwebte er im Nichts und fand es herrlich, losgelöst zu sein von aller Erdenschwere. Daß er dabei rasant fiel, spürte er nicht. Mit Bedauern fast zog er an der Reißleine, der Knall des sich öffnenden Sackes prallte gegen sein Trommelfell, dann folgte der Ruck, als sich der Fallschirm entfaltete, sein Körper wurde wieder schwer, pendelte und hing dann in den Schnüren. Gelungen, dachte er. Nikolai Antonowitsch, du kommst zur Erde! Von jetzt ab vergiß alles, was

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