Sie waren zehn
wegen der Wichtigkeit seinen Zeigefinger. »Man nannte es einen hysterischen Akkommodationskrampf …«
»Phantastisch, Genosse!« rief Abram Porfiriewitsch. »Und weiter?«
»Man machte Schießübungen mit mir. Auf Scheiben. Drillingsscheiben. Was sonst?! Natürlich traf ich immer die falschen, nämlich daneben … Es gab nämlich gar keine Drillinge.«
»Wieso denn? Ich denke, du hast …«
Plejin winkte ab. »Wer kann das verstehen, Väterchen?! Es nimmt dir keiner übel, wenn du blöd dreinschaust! Ich brauchte Wochen, um das zu begreifen. Aber in diesen Wochen stellte man durch die Ärzte fest: Plejin ist eine Gefahr für die Rote Armee. Wo nur einer ist, sieht er drei. Das kann zu großen Komplikationen führen! Und so erhielt ich den Befehl: Nach Moskau! Zu einem Spezialisten.«
»Ich begreife! Ich begreife!« schrie Abram Porfiriewitsch. »Und weil du alles dreimal siehst, bist du in Duschansk gelandet! Ist das ein Leben, Genosse!«
Plejin verzichtete darauf, sein Auftauchen nördlich von Moskau auch noch zu erklären. Abram Porfiriewitsch war so begeistert von der Geschichte mit den Drillingen, daß er nach einer halben Stunde eine Rast einlegte, aus einem Sack Brot, Ziegenkäse und eine verbeulte Blechflasche mit saurem Kwaß holte und mit Plejin ein gemütliches Frühstück abhielt.
Nach weiteren drei Werst langsamer Trottelfahrt wurde die schmale Straße plötzlich von einem erdbraun gestrichenen offenen Auto merkwürdiger Bauart gesperrt. Vier Gestalten in Uniform standen um den Wagen herum und diskutierten. Sie schienen wütend zu sein, denn einer, ein schlanker Bursche, trat mit seinen Stiefeln heftig gegen einen Hinterreifen, als sei er ein Ochsenhintern.
»Oh, Gott mit uns!« sagte Abram leise und bekreuzigte sich. »Miliz … Ausweichen können wir nicht! Söhnchen, ich ahne Schwierigkeiten. Man wird dir deine Drillinge nicht glauben.«
»Ich habe eine ärztliche Bescheinigung bei mir. Hier!« Plejin klopfte gegen seine Brust. »Mit vielen Stempeln. Ich bin ein Sonderfall!«
Sie kamen näher, sprangen vom Wagen und bestaunten das fremdartige Gefährt der Miliz. Abram sah es zum erstenmal. Plejin kannte es aus Frankreich. Es war ein amerikanischer Geländewagen, ein fabelhaftes Ding, besser als der deutsche VW-Kübel.
Die Milizionäre warfen einen Blick auf den alten Gaul, der mit zitternden Flanken im Geschirr stand, und verzogen den Mund.
»Wohin?« fragte einer der Uniformierten.
»Nach Michailowskoje«, sagte der Alte.
»Ausspannen!«
»Warum, liebe Genossen?«
»Der Gaul zieht unseren Wagen bis zur Werkstatt!«
»Ich habe einen Auftrag von der Sowchose!« rief Abram und hüpfte etwas in die Luft vor Erregung.
»Du bekommst eine Bescheinigung!«
»Es ist ein dringender Auftrag!« schrie Abram.
»Wir sind dringender!« brüllte der Milizionär zurück. »Ausspannen!«
»Das Pferd überlebt das nicht!« Abram warf beide Hände über den Kopf und schielte vor Entsetzen. »Genossen, ihr bringt einen wichtigen Teil des Nahrungsnachschubs der Armee um, wenn ihr das Pferdchen vergewaltigt!«
»Was hat es denn, das Maschinchen?« fragte Plejin freundlich.
Der Führer der Milizstreife, ein Leutnant, der vorhin auch das Hinterrad getreten hatte, hatte sich umgewandt. Plejin hielt den Atem an, schluckte plötzlich an einem Kloß und spürte, wie seine Handflächen feucht wurden. Ein halbtatarisches Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem Mund voller Wildheit wandte sich ihm zu. Unter der Mütze, von hinten nicht sichtbar, quollen an den Seiten rußschwarze Haare hervor und legten sich auf die leicht olivfarbene Haut der Schläfen. Die Augen dagegen flimmerten in einem ganz dunklen Bernsteinton, in den wie große dunkle Löcher die Pupillen hineingestanzt waren. Es war ein Gesicht, bei dessen Anblick ein Gefühl von wonnevoller Beklemmung den ganzen Körper überzieht. Man spürt das Wunder dieser Schönheit wie einen Würgegriff.
»Das Maschinchen steht!« sagte sie. Ihre Stimme war eigenartig, mit anderen menschlichen Stimmen nicht zu vergleichen, ein Ton, der irgendwie nachklang, hauchend verzitterte, während schon das nächste Wort im Raum stand. Plejin starrte sie fassungslos an … Das ist es, dachte er plötzlich, nur dieser Vergleich ist gültig: Ihre Stimme hat den Klang einer singenden Säge. Ein einziges Mal, in Berlin, hatte er einmal ein Konzert mit diesem seltenen Instrument gehört und dann vergessen. Jetzt kamen die Töne wieder, in dieser weiblichen Stimme aus der
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