Sie waren zehn
gewesen ist. Denk nur an Moskau, denk an Stalin, denk russisch. Du bist der Gesangstudent Plejin, den dieser Krieg erschreckt, der nie ein Held werden wollte, dem Soldatsein eine Qual bedeutet, der nur für die Musik lebt, für die Oper, für seinen schönen hellen Tenor.
Ein Waldstück, dann eine große Wiese, versteppt, mit hohem Gras, seit Jahren nicht geschnitten … Plejin strampelte, zog dann die Beine an, landete in der Hocke auf dem Boden, der seltsam weich war, rollte sich ab, wie gelernt, und krallte sich dann in die Schnüre seines Fallschirms. So blieb er liegen, lauschte angespannt, aber die Nacht um ihn herum war lautlos, nur die Fallschirmseide knirschte leise im harten, fast mannshohen Gras.
Plejin holte den Schirm zu sich heran, knüllte ihn zu einem dicken Paket zusammen und benutzte ihn als Kopfkissen. Er blickte hinauf in den Sternenhimmel, den Wolkenbänder wie vorbeiwehende Schleierstreifen unterbrachen, und malte in Gedanken gegen den Himmel die Landkarte seiner Umgebung: Westlich liegt Michailowskoje. Dort erreicht man die Straße von Uglitsch an der Wolga nach Moskau. Bei Sagorsk trifft sie auf die Straße von Jaroslawl und vereinigt sich dort mit ihr.
Plejin fand, daß er genau richtig gelandet war, an einem idealen Platz, und daß ihm nichts Besseres widerfahren konnte als diese riesige Nachschubkolonne auf der Rollbahn. In sie wollte er sich eingliedern und sich mittreiben lassen nach Moskau. Ein Mensch in dieser Masse Mensch fällt nicht auf, aber einen einzelnen, der durch das Land wandert, fragt man, wer er sei. Wo sich Menschen zusammenballen, verlieren sie den Blick für das Besondere.
Nach einer Ruhepause trug Plejin den Fallschirm in den Wald, versteckte ihn in einem dichten Gebüsch und klopfte seinen Anzug ab. Dann marschierte er los, traf auf einen Fahrweg für die Landwirtschaft, eine von Traktoren ausgewalzte Spur, der er nachging, weil sie nach Westen führte. Hier gibt es keine Häuser, dachte er. Das ganze Gebiet wird von einer Sowchose verwaltet. Erst nahe der Straße fangen die ersten Siedlungen an. Man sollte sie nicht vor dem hellen Tag erreichen. Ein Mann, der aus der Dunkelheit kommt, ist immer ein seltsamer Gast. Bis kurz vor die ersten Häuser, die er im fahlen Dämmern vor sich liegen sah, hatte er drei Stunden gebraucht. Jetzt setzte sich Plejin hinter einen Busch und wartete.
Als die ersten Fahrzeuge über die Straßen rollten – ein klappriger Lastwagen, dessen Keuchen bis zu Plejin herüberklang, und zwei bäuerliche Flachwagen mit alten, mageren Panjepferden davor, die müde über ihre eigenen Beine stolperten –, erhob er sich, kontrollierte noch einmal sich selbst, ob nichts Auffälliges an ihm war, und ging dann gemächlich der Ortschaft zu. Es war eine kleine Siedlung, ziemlich neue Häuser aus Stein, keine hölzernen Wände wie sonst auf dem Lande, auch fehlten die traditionellen Holzschnitzereien an den Giebeln oder Fensterumrandungen, selbst die Bemalung hatte man gespart – eine nüchterne, moderne Wohnkolonie, sicherlich Bestandteil einer großen Sowchose.
Plejin blieb stehen und betrachtete die Siedlung. Milda Ifanowna hatte sie nicht erwähnt, auch auf den Karten war sie nicht eingezeichnet, glaubte er sich zu erinnern. Aber wozu auch … Renneberg hatte gesagt: »Meine Herren, was wir Ihnen hier beibringen, ist nur ein Rahmen. Wir versuchen, so detailgetreu wie möglich zu sein, aber Sie werden alle Vorzüge der Improvisation gebrauchen, um später am Einsatzort die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das müssen Sie allein tun! Wir bereiten Sie hier darauf vor, daß Sie sicher zur Erde kommen … auf der Erde sind Sie allein. Da hilft Ihnen keiner …«
Höflich, wie ein Fremder zu sein hat, grüßte er einen Bauern, der, auf seinem Flachwagen sitzend, an ihm vorbeirollte und mit seinem Gaul sprach. »Ich weiß, ich weiß«, sagte der Mann, »du bist müde, du bist alt, du bist auf einem Auge blind; im Ställchen willst du lieber liegen und dich ausstrecken. Hast genug gearbeitet in deinem Leben. Wer weiß das nicht?! Aber was hilft's, he?! Wir müssen etwas tun, bis wir umfallen und uns für ewig ausschnaufen.« Er betrachtete im Vorbeifahren den ihm fremden Plejin, zog die Zügel straff und hielt an.
»Wohin?« fragte er. »Und woher?«
»Wohin? Das ist eine sehr komplizierte Frage. Nach Moskau …«
»Zu Fuß?« Der alte Bauer drückte mit dem Daumen ein Nasenloch zu, katapultierte mit einem Luftstoß aus dem anderen Nasenloch
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