Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Konflikt rang sie, das sah man ihr an, aber wer nun siegte, behielt sie für sich. Auch ihre Antwort »Wir werden uns kaum sehen!« gab darüber keine Auskunft, wenn man das Wort ›kaum‹ nicht allzu schwer wog. Aber wer kennt sich bei Frauen aus? Aus einem kleinen Wort können sie ein Schicksal kneten …
    Es wurde – keiner hätte das geglaubt – ein schöner Tag, für beide.
    Der Kommandant der Miliz von Michailowskoje, ein fetter Oberleutnant, den man aus der Pension reaktiviert hatte, weil ja alle jungen Männer in der Roten Armee gegen die Deutschen marschierten, empfing seine Gäste mit offenen Armen, denn in Michailowskoje war soviel Abwechslung wie in einem Sandhaufen. Zwar durchzogen seit drei Wochen fast ununterbrochen Transportkolonnen den Ort – Lastwagen hinter Lastwagen, aufgebockte Kanonen, und ab und zu sogar donnernde Panzerkolonnen, die in Michailowskoje nichts hinterließen als aufgerissene Straßendecken, herumwirbelnden Dreck, verstaubte Menschen und Tiere und wortgewaltige Beschwerden von Genossen, die das Unglück in der Gestalt von durstigen Soldaten heimgesucht hatte, die vor ihrem Haus anhielten und um etwas Genießbares baten. Darüber war man stets geteilter Meinung, und so endeten solche Bitten immer mit blutigen Nasen, Beulen und dreimal sogar mit der Besteigung der Hausfrau. Das alles aber vermochte den allen Oberleutnant nicht zu erfreuen. Er klagte darüber, daß man ihn wieder in Uniform gesteckt hatte und daß seine chronische Magensäure sich dadurch noch verdoppelt habe. Den Besuch der Tscherskasskaja empfand er als Besonnung seines tristen Alltags und nahm deshalb auch die Mitläuferschaft von Plejin gelassen hin.
    Plejin bezog die leere Zelle Nr. III im Milizgebäude. Obwohl man sie wohnlicher hergerichtet hatte mit zwei weißen Decken, einem emaillierten Spucknapf, einem Kleiderständer, der noch aus der Zarenzeit übriggeblieben sein mußte, denn so etwas Feines und Stabiles gab es im Sowjetzeitalter nicht mehr, sogar eine Tischdecke breitete man über den erbärmlichen Holztisch aus – trotz dieser Zutaten also blieb es eine typische Zelle mit gekalkten Wänden, einem vergitterten Fensterchen nahe der Decke, muffigem Geruch, einem knackenden Bett mit einer von innen schimmelnden Matratze und einer beiderseits mit Stahlblech beschlagenen, klinkenlosen Tür, in die man eine Klappe geschnitten hatte. Nur daß die Tür offenblieb, war tröstend und vermittelte einen Hauch von Freiheit. Plejin probierte es: Er sprang vom Bett auf, ging hinaus, rannte durch den Flur und rannte zurück. Niemand kümmerte sich um ihn. Nur die Tür am Ende des Ganges war abgeschlossen. Hier mußte er klopfen, um in die normale Welt hinausgelassen zu werden. Diese Sicherung war notwendig, Plejin sah es ein. In den Zellen I, II und IV saßen dunkle Elemente ein und warteten auf ihren Abtransport nach Jaroslawl.
    »Es ist zum Jammern«, sagte der alte fette Oberleutnant, der Dytschkin hieß. »Eine wahre Satansbrut! In Nummer I zum Beispiel sitzt ein düsterer Mensch. Vier dicke, wohlgenährte Pferde hat er den Bauern verkauft. Zwei Tage später fielen sie zu knochigen Ludern zusammen. Sie waren voll Luft gewesen! Der Kerl hat sie durchs hintere Loch mit einem Bambusrohr aufgeblasen! Ein alter Pferdehändlertrick – aber das in Michailowskoje! Ja, wenn wir im Süden wären, in Kasakstan, am Don, bei den Kirgisen …«
    Plejin konnte sich von seinen verölten Händen befreien, er konnte sogar in einer Zinkwanne baden, schrubbte sich gründlich ab und wünschte sich, etwas anderes am Leib zu tragen als diesen alten Anzug, den man ihm zugeteilt hatte. Er schrubbte sogar den Kragen seines Hemdes mit Seife und spülte ihn mit Wasser nach, setzte sich, mit einem Handtuch als Zwischenlage, darauf und trocknete und bügelte ihn so durch seine Körperwärme. Das Ergebnis war mager, der Schmutzrand war noch sichtbar, aber das Hemd als Ganzes gesehen leuchtete weißer als zuvor. Plejin freute sich. Man lernt, auch mit Bruchstücken glücklich zu werden.
    Es war nicht wahr, daß die Tscherskasskaja unsichtbar blieb. Nachdem sie den Jeep in der Werkstatt abgegeben hatte und einen neuen Wagen, einen grüngestrichenen, offenen Ford bekommen hatte (keiner wußte mehr, wie dieser seltene Wagen in Michailowskoje hängengeblieben war), ging sie mit Plejin in der kleinen Stadt spazieren und fiel unangenehm auf, weil jeder glaubte, das sei nun der neue Milizkommandant, der sich an der Seite eines Geheimpolizisten

Weitere Kostenlose Bücher