Sie waren zehn
Nach Räumung der Städte Orscha und Witebsk hat sich die schwere Abwehrschlacht in den Raum östlich der mittleren und oberen Beresina verlagert …
Piotr Mironowitsch Sepkin saß mit dem OP-Helfer Radolow in der kleinen Putzkammer, wo man aus allen Operationssälen die menschlichen Abfälle sammelte. Von dort aus wurden sie zum Ofen I gefahren und der Obhut Sepkins übergeben. Sie hatten sich angefreundet, Radolow und Sepkin, denn wer in einem Betrieb die unbeliebtesten Arbeiten verrichten muß, der fühlt sich zu einem Schicksalsgenossen zwangsläufig hingezogen. Hinzu kam, daß Radolow in seiner Putzkammer ein Radio stehen hatte und seinen neuen Freund Sepkin, der sich in seiner gekachelten Höhle langweilte, in den OP-Trakt herüberholte, damit auch er teilhabe an der schönen Musik und den noch schöneren Nachrichten von der Front.
»Witebsk und Orscha haben sie schon!« jubelte Radolow und schlug die Hände zusammen. »Das alles in vier Tagen! Ha, die Deutschen laufen wie die Hasen! Suchen neue Löcher! Nutzt es ihnen was?! Wir überrollen sie. Rrrrr … Piotr Mironowitsch, ich setze voraus, du bist ein ehrlicher Freund. Wirst es nicht verraten. Aber zum Feiern ist etwas zur Seite gelegt.« Er kramte in einem Putzschrank, holte eine Flasche mit einer violettroten Flüssigkeit heraus und hob sie hoch. Aus dem Radio klang wieder Marschmusik.
»Etwas Feines!« rief Radolow. Er entkorkte die Flasche und hielt sie Sepkin unter die Nase. »Reiner medizinischer Alkohol, etwas verdünnt und mit Holunderbeeren versetzt. Freundchen, nimm als erster einen Schluck! – Nach vier Tagen stehen unsere tapferen Helden schon an der Beresina …« An diesem Abend beschloß Sepkin, sich am nächsten Tag bei Milda Ifanowna zu melden.
5
Einem Zufall nur war es zu verdanken, daß Oberst Igor Wladimirowitsch Smolka, dem Sektionsleiter Innere Abwehr beim NKWD, ein eisiger, ihn einen Moment lähmender Schreck in die Glieder fuhr.
Nach der Entdeckung des deutschen Majors von Labitz, der als Ingenieur Pawel Fedorowitsch Sassonow in das Stahlkombinat von Perowo einsickern wollte, und der dann so heldenmütig starb, war Smolka nie richtig froh geworden. Immer wieder las er die Aussagen aller Zeugen vor, hörte das Tonband ab, das bei der Unterhaltung mit Sassonow in einem Nebenraum abgelaufen war, betrachtete mißtrauisch – als sei es eine verkappte Bombe – das winzige, aber ungemein starke Funkgerät, das Sassonow bei sich getragen hatte, und konnte dem Gefühl nicht entrinnen, daß dieser deutsche Offizier nicht der einzige war, den man über Rußland abgesetzt hatte. Was soll ein einzelner Mann im Stahlkombinat Perowo? Das zeigte keinen Sinn. Warum aber versuchte dann ein als perfekter Russe ausgebildeter deutscher Offizier sich mit den besten Papieren, die man sich wünschen kann, in die Produktion einzuschleichen?
Oberst Smolka hatte den Vorfall noch auf seinem Schreibtisch behalten und nicht an den Chef des NKWD weitergegeben. Für ihn war der ›Fall Sassonow von Labitz‹ noch nicht beendet. Im Kombinat Perowo wurden jetzt zwar jeder Arbeiter und jeder Angestellte untersucht, durchleuchtet und in ein kurzes Verhör genommen, auch seine Papiere wurden überprüft, aber Smolka war sicher, daß er nichts Verdächtiges mehr erfahren würde.
So traf es ihn wie ein Keulenschlag, als von der NKWD-Außenstelle Kalinin ein Bericht in Moskau eintraf, dem gleich zwei Leichen beigefügt waren. Sie lagen in verplombten Zinksärgen und wurden von vier Milizionären bewacht. Damit nicht genug: vom Güterbahnhof kam ihm ein Bericht auf den Tisch, der erst durch sieben nicht zuständige Stellen gelaufen war – was die Stempel und Unterschriften bewiesen –, bis ein Beamter den Einfall gehabt hatte, das Ganze dem NKWD zuzuschieben.
Aus Kalinin trafen ein: Ein toter Genosse, der sich zu Lebzeiten Iwan Petrowitsch Bunurian genannt hatte – also ein Armenier oder Grusinier – und den eine Gruppe Waldarbeiter in den Wäldern bei Maximowo mit Knüppeln erschlagen hatte. Man hatte einen Fallschirm gefunden – sowjetischer Herkunft – und dann eben diesen Bunurian, der sich ein Bein gebrochen hatte.
Als die Holzfäller ihn untersuchten, fanden sie eine Tabaksdose bei ihm, die sich als ein Minisender entpuppte. Darauf hatte man Bunurian in vaterländischem Zorn erschlagen, was man hinterher bedauerte.
Der Tote wurde vom NKWD Kalinin abgeholt, nachdem die Zeugen Oleg Viktorowitsch und Pawel Tichonowitsch aus Maximowo angerufen
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