Sie waren zehn
Wenn die Hinterbliebenen einen schönen Sarg ausgesucht hatten, öffnete ich eine Seitentür, und siehe da, man stand an einer einladenden Theke. ›Trinken wir ein Gläschen auf den lieben Toten!‹ sagte der Sarghändler dann. ›Er nimmt's nicht übel. War doch auch ein fröhlicher Mensch, nicht wahr?‹«
»Hören Sie auf, Duskow!« sagte die Pleskina hart. »Hören Sie sofort auf!« In ihre Kohlenaugen trat ein gefährlicher Glanz. Sie warf die Haare zurück, band sie mit einer roten Kordel zusammen und sah noch wilder, herrlicher, herausfordernder aus. »Können Sie nicht vernünftig sein?«
»Ich will es nicht«, sagte Duskow und blickte in die flackernde Kerze.
»Sie wollen nicht?!« Sie starrte ihn entgeistert an. Das Kerzenlicht erzeugte auf ihrem Gesicht geheimnisvolle Reflexe und hob es in immer neuen, atemberaubenden Variationen aus der Dunkelheit. Es war für Duskow fast unbegreiflich, daß soviel Schönheit noch menschlich sein konnte. »Wo soll das hinführen?«
»Ich danke Ihnen für all Ihre Hilfe, Anna Iwanowna.« Duskow erhob sich und kam um den Tisch herum. »Ich werde mir morgen eine Unterkunft suchen. Hier kann ich nicht bleiben.«
»Und warum?« Ihre Augen waren weit und ängstlich. »Was mißfällt Ihnen?«
»Ich liebe Sie …« Duskow riß sie vom Stuhl empor, drückte sie an sich und wunderte sich, daß sie nicht sofort mit den Fäusten auf ihn losschlug. »Begreifen Sie das?« schrie er rauh. »Ich liebe Sie. Ich verbrenne unter Ihren Augen, ich bin dem Wahnsinn nahe, wenn ich Sie ansehe! Wer kann das aushalten?! Ich, ein Nichts, ein entlassener Soldat mit einem Loch in der Hüfte, liebe die große Pleskina! Irrsinn ist das! Lassen Sie mich gehen, Anna Iwanowna, jetzt sofort … Ich weiß sonst nicht, was ich tue.«
»Wie schön kann das sein«, sagte sie mit ihrer samtdunklen Stimme und legte die Arme um seinen Nacken, »wenn man nichts mehr ist als nur Gefühl. Du Nichts, du Landstreicher, du infamer Gauner.«
»Ich warne dich …« Duskows Hals war zugeschnürt, sein Herz glich einem Hammerwerk. »Ich warne dich …«
»Ich will keine Warnungen! Jeden Tag sehe ich den Tod. Ich sehne mich so nach Leben!«
Duskow atmete pfeifend aus. Er faste die Pleskina um die Hüften, hob sie hoch, sie war leichter, als er gedacht, oder er besaß in diesen Minuten mehr Kraft, als er sich zugetraut hatte, trug sie in das Schlafzimmer, und schon auf der Schwelle biß sie wie ein Vampir in seine Schulter, zerkratzte seinen Nacken und begann dumpf zu stöhnen …
Nachdem sie die kalt gewordenen Blinsen gegessen und den Tee mit ein paar Tropfen Wodka verfeinert hatten, saßen sie nebeneinander, Hand in Hand, in den Sesseln und lauschten auf die Nachrichten aus dem Radio. »Ist das ein Luxus!« sagte sie und streichelte sanft über seinen Leib. »Sitzen hier nackt und hören uns den Krieg an.« Sie legte den Kopf an seine Schulter und breitete ihr langes schwarzes Haar wie einen Schal über seine Brust. »Verstehst du deutsch?« fragte sie plötzlich.
Duskow verspürte plötzlich eine nie gekannte Angst. »Wieso?« Er versuchte, weiter normal zu atmen. Aus dem Radio klang forsche Marschmusik, die Nachrichten waren beendet. »Bei uns wurde es nicht gelehrt. Kannst du es?«
»Nicht viel. Wir hatten es in der Schule. Manchmal höre ich andere Sender … Man weiß dann später nicht mehr, wer die Wahrheit sagt.«
»Du kannst mit deinem Apparat Deutschland hören?« Duskows Stimme klang eher gelangweilt.
»Soll ich suchen?«
»Wenn es dir Spaß macht. Ich verstehe doch nichts …«
»Oh, es ist interessant. Ich übersetze es dir.« Sie löste sich von ihm, ging nackt, mit geradezu schwebenden Bewegungen, zum Radio und suchte die Sender. Im Lautsprecher pfiff und zischte es. Sie drehte sich um, lachte Duskow zu und lehnte sich gegen die Kommode, auf welcher der Apparat stand. Nur eine Kerze brannte und umzuckte mit ihrem Licht ihren matt glänzenden Körper. Nie wieder wird es eine solche Frau geben, dachte Duskow. Nie wieder. Laß uns die kurze Zeit, die uns noch bleibt, trinken wie ein berauschendes Gift. Du weißt ja nicht, Anuschka, das du einen Toten liebst. O Gott, laß sie nie erfahren, wer ich bin …
»Gleich kommt er!« sagte sie und hob den Zeigefinger wie ein Lehrer. »Da ist er. Da!«
Tanzmusik, Foxtrotts, Swings, amerikanischer Jazz, gespielt von einem fabelhaften Orchester. Duskow zog die Luft durch die Nase ein. Er griff zu einer kleinen Silberdose auf dem Tisch neben sich und
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