Sie waren zehn
abgeschnittener Glieder und glitschiger Därme! Und alles landet bei mir! Ertragen kann man's nur mit einem Gläschen … oder zwei Gläschen. Jelenenka, mein süßes Hinterchen, mein Apfelbrüstchen – strafe mich nicht! Einen Zeugen habe ich! Den lieben Genossen OP-Helfer Radolow. Ein guter, gefühlvoller Mensch. Erklärt mir immer, von wem die Glieder sind, die er mir bringt. ›Ha‹, sagte er. ›War das eine schöne Frau! Eine Haut wie ein gekochtes Eichen. Und stürzt sich aus dem Fenster, so mir nichts – dir nichts!‹ – Kann sein, daß ich auch drei Gläschen getrunken habe, Jelena …«
Sie ließ ihn grölen, ging zu Vater Luka Antipowitsch und rüttelte ihn wach.
»Er ist da!« sagte sie und setzte sich auf die Bettkante. Ihre Augen brannten vom Weinen. Den ersten großen Kummer um einen Mann hatte sie nun hinter sich.
»Wie gut!« brummte Puschkin. »Sieh an, sieh an! Was habe ich gesagt: Der geht uns nicht verloren!«
»Betrunken ist er, Väterchen!«
»Aha!« Puschkin setzte sich im Bett aufrecht. Die Erwähnung von Wodka machte ihn stets munter. Er zog das Kinn an. Nebenan sang Sepkin, als brülle er in einen leeren Kessel. »Besoffen bis unter die Haare ist er!« sagte Jelena laut. »Ein Ekel!«
»Das muß man sehen!« Puschkin schob sich aus dem Bett und tappte auf nackten Sohlen ins Nebenzimmer. Er trug, wie die meisten Russen, einen gestreiften Schlafanzug, nur war seiner um die Brust zu eng, so daß er ihn offenlassen mußte.
Er blieb vor dem grölenden Sepkin stehen, nickte ihm zu, beneidete ihn und nahm sich vor, ihn morgen nach der heimlichen Quelle auszuhorchen.
»Er muß in ein Wodkafaß gefallen sein!« sagte Luka Antipowitsch fast ehrfürchtig. »Solch ein Gestank ist kaum normal! – Warum heulst du, Töchterchen?!«
»Wie kann man sich so betrinken!«
»Ein guter Junge.« Puschkin schnüffelte den Wodkadunst ein, als könne er sich in ihm verflüssigen. »Liegt da glücklich und wartet auf ein gutes Wort von dir. Ich habe das Gefühl, er gehört doch ganz zu uns …«
1. Juli 1944
Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt:
Im Mittelabschnitt der Ostfront stehen unsere Truppen weiter in schwerem Abwehrkampf. In der Stadt Ssluzk sind Straßenkämpfe im Gange. Auch im Raum Ossipowitschi und bei Borissow finden stärkere, von Panzern unterstützte Angriffe der Sowjets statt. Am Oberlauf der Beresina sowie westlich und südwestlich Polozk wurden die feindlichen Angriffe in harten Kämpfen aufgefangen …
An diesem Tag erschien in der Prawda und der Istwestija eine kleine Familienanzeige, die zwar ungewöhnlich war, aber dennoch von den meisten überlesen wurde. Ihr Text lautete: »Mamuschka ist gestorben. Kommt alle zu mir und trauert mit mir.« Der Genosse am Anzeigenschalter der Prawda war der einzige, der Milda Ifanowna darauf ansprach. Sie stand da mit einem schwarzen Schleier um den Kopf und sah sehr traurig aus.
»War ein gutes Mütterchen, was?« fragte er. »Mein Beileid.«
»Danke, Genosse«, hauchte Milda. »Wieviel muß ich bezahlen?«
»Ein paar Kopekchen.« Der Mann las den kurzen Text und schüttelte den Kopf. »Ist das alles? Ein so unersetzliches Mütterchen muß eine bessere Anzeige haben. Verdient hat sie's!«
»Sie müßte eine ganze Seite haben, aber wer soll's bezahlen, Genosse? Sie? Ihre Hand küsse ich, wenn Sie's tun!«
Der Mann hinter dem Schalter lächelte schief, schaute Milda tief in die schwarzen Augen und schüttelte den Kopf. »Ein Jammer ist es!« sagte er. »Da geht ein guter Mensch dahin und bekommt zwei Zeilen! Wenn man bedenkt, daß der Fürst Raspinji seine Hunde mit bester Hühnerleber fütterte … eine Bande war das!« Er betrachtete die Anzeige noch einmal. »Keine Adresse?«
»Die es angeht, wissen, wo ich wohne. Eine stille Trauer soll es werden.«
Sie bezahlte zwei Rubel für die beiden Zeilen, das war eine Menge Geld, aber Mamuschka war es wert, im gesamten Verbreitungsgebiet der Prawda zu erscheinen. Als Milda hinausging, blickte ihr der Mann hinter dem Schalter versonnen nach. Ein wahres Weibchen, dachte er wehmütig. Eine Augenweide. Wüßte man ihre Adresse – einen Kondulationsbe such hätte man machen können. So eine kleine Höflichkeit kann sich schnell entwickeln … Er kratzte an seiner Hose, stempelte die Mamuschka-Anzeige ab und legte sie in die Tagesmappe für die Setzerei.
Duskow las die Anzeige zwischen zwei Aufbahrungen neben seinem Trauerklavier. Petrowskij kaufte sich die Prawda, als er mit einem neuen
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