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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tür verschlossen. Der Portier des Krankenhauses Nummer 13, ein bekannt unhöflicher Mensch mit schiefer Nase, was manche schon als eine Warnung der Natur betrachteten, erinnerte sich gut an den magenkranken Luka Iwanowitsch und ließ es auf einen neuen Streit mit diesem Irren nicht ankommen. Er gab den Weg zu Dr. Speschnikow frei, blickte Petrowskij und dem schmucken Weibchen an seiner Seite mit finsterer Miene nach und suchte nach einer Erklärung, wieso ein so seltenes Exemplar von Verrücktheit ein so freundliches Mädchen an sich fesseln konnte.
    Mehrmals mußte Petrowskij an die Tür klopfen und an der Klinke rütteln, bis Speschnikows Stimme ertönte.
    »Ruhe!« brüllte er. »Ab zu Wachraum I! Keine Störung mehr!«
    »Machen Sie auf, Genosse Doktor!« schrie Petrowskij gegen die Tür. »Besuch für Sie persönlich.«
    »Wer ist da?« Drinnen fiel ein Stuhl um. Petrowskij lächelte breit. Der Wodka hatte ihn wieder, den Doktor. Mein liebster Speschnikow, nur Selbstbetrug ist es, sich einzunebeln, aber heute, verdammt will ich sein, heute könnte ich ein Faß aussaufen, und ich würde noch immer nach innen weinen … »Wie ist der Name?« brüllte Dr. Speschnikow. Er war jetzt nahe der Tür.
    »Ulcus ventriculi …«
    »Ich höre Engel singen!« Speschnikow riß die Tür auf und breitete die Arme weit aus. Er schwankte bedrohlich und wirkte sehr alt und eingeschrumpft. »An mein Herz, verfluchter Bube! Wie oft habe ich an dich gedacht …«
    3. Juli 1944
    Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt:
    Im Mittelabschnitt der Ostfront wurden westlich Ssluzk starke Angriffe der Bolschewisten in harten Kämpfen abgewiesen. Im Raum von Ossipowitschi und an der mittleren Beresina setzten sich unsere Divisionen in erbitterten Kämpfen mit dem nachdrängenden Feind in den Raum um Minsk ab. Südwestlich Polozk scheiterten von Panzern und Schlachtfliegern unterstützte Angriffe der Sowjets bei Glubokoje . Um die Stadt Polozk wird erbittert gekämpft .
    Duskow saß, nach vorn gebeugt, in einem Sessel und hörte die deutschen Nachrichten. In der Küche klapperte Anna Iwanowna mit Tellern, es roch nach geschmorten Gurken, eines der Gerichte, die sie besonders gut kochte, denn bei geschmorten Gurken muß man aufpassen, daß sie nicht zu hart bleiben und nicht zu weich werden. Und auch auf die Füllung kommt es an! Nicht jeder konnte Hackfleisch so würzen wie die Pleskina.
    »Was sagen sie?« rief sie aus der Küche.
    Duskow hob den Kopf. »Ich verstehe nichts!« rief er zurück. »Deutsch ist es! Schon wieder hast du den verfluchten Nazisender an!«
    Sie kam aus der Küche, schüttelte ihr schwarzes Haar und leckte einen Holzlöffel ab, mit dem sie in den geschmorten Gurken gerührt hatte. Das tat sie immer beim Kochen – sie probierte so gerne, daß sie später am Tisch schon fast satt war und um so mehr Zeit hatte, Leonid Germanowitsch beim Essen zuzusehen und sich zu freuen, wie gut es ihm schmeckte.
    Aus Berlin ertönte eine angenehme, das Interesse sofort fesselnde Stimme. Sie verlas einen Artikel, der die allgemeine Lage schilderte, die Notwendigkeit der taktischen Frontverkürzungen und den unerschütterlichen Willen des Führers herausstellte, diese schwere Prüfung in Kürze wieder zu einem glorreichen Sieg umzuwandeln.
    »Nie war die stählerne Kraft unseres Volkes deutlicher als jetzt, und nie war der Glaube an den Führer stärker, weil jeder, der Mann hinterm Pflug und der Mann an der Werkbank, sicher sein kann, daß der rote Sturm gebrochen wird und unsere tapferen Soldaten dem Bolschewismus den Todesstoß versetzen werden.«
    Das ist Hans Fritzsche, dachte Duskow. Jeden Samstag haben wir ihn gehört, wenn er Goebbels' Leitartikel im Reich der ganzen Nation vorlas. Millionen saßen dann vor den Volksempfängern, und wenn die Lesung beendet war, breitete sich das Gefühl großer Zufriedenheit aus. Ein Volk wurde sich Samstag für Samstag bewußt, in welch geschichtlich großer Zeit es lebte, und daß es von der Vorsehung den Auftrag erhalten hatte, die Welt zu verändern. Zwar nannten viele diese Leitartikel-Sendung ›Hinkefüßchens Märchenstunde‹, in Anspielung auf Goebbels' Klumpfuß – aber man sagte das unter sich, mehr als Spaß, kaum als ernste Kritik. Man saß da, hörte zu, nahm es hin und bewunderte des kleinen Doktors Sprachgewalt. Die Masse des Volkes war in politische Lethargie versunken; der Führer dachte für sie alle.
    Duskow demonstrierte abwehrende Langeweile. Er blätterte in der

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