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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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werde ich sie. Was wollen sie von dir, die Falten?« Ihre Lippen tasteten sich über seine Augen und seinen Mund. »Wie ich dich liebe«, sagte sie mit kleinen, schnellen Atemstößen. »Kein Wort kann es ausdrücken, keine Sprache reicht aus …«
    »Könnte ich nie mehr etwas von Krieg hören, nie mehr an einen Krieg denken!« Er hielt ihren Kopf fest und preßte ihn an seine Schulter. »Anuschka, wäre das schön …«
    In der Nacht zirpten die Funksprüche zu Milda Ifanowna. Keine Worte, keine Buchstaben, nur die Erkennungsziffer. Die Anwesenheitsmeldung.
    Duskow, Plejin und Sepkin saßen auf der Toilette und gaben ihr Zeichen durch. Die Absätze ihrer Schuhe waren abgedreht und wurden zum Funkgerät.
    Boranow hatte sich in den Nachtdienst geflüchtet, wartete im Depot auf die letzte Straßenbahn und funkte ungestört in einem leeren Wagen.
    Petrowskij und Iwanow waren die ersten, die sich meldeten, am Ende ihrer Arbeitszeit. Iwanow hockte hinter einem Stapel Schalbretter und bewunderte seine eigene Frechheit, aus dem Kreml zu funken. Petrowskij suchte sich einen Platz im Ersatzteillager der Traktorenhalle III. Zwischen den Regalen voller Motorteile war er ziemlich sicher.
    Und immer antwortete Milda Ifanowna mit einem schnellen ›Zero‹.
    Zero … das heißt 0 … ist ein Nichts … Heißt: Warten. Warten auf Stalin.
    4. Juli 1944
    Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt:
    An der mittleren Ostfront hat die Härte der Kämpfe weiter zugenommen. Westlich Ssluzk wechselten feindliche Angriffe mit unseren Gegenangriffen. Der bis an die Bahnlinie Baranowicze - Minsk vorgedrungene Feind wurde von unseren Panzerdivisionen in schneidigem Gegenangriff unter hohen blutigen Verlusten zurückgeworfen.
    Bolschewistische Panzerkräfte drangen in Minsk ein und stießen weiter nach Westen vor. Südöstlich der Stadt leisten unsere Verbände den von allen Seiten anstürmenden Sowjets erbitterten Widerstand und kämpfen sich nach Westen zurück. Bei Molodeczno wurden feindliche Angriffsspitzen im Gegenstoß zurückgeworfen. Im Raum westlich Polozk schlugen unsere Truppen an der Düna wiederholte Angriffe der Bolschewisten ab. Die Stadt wurde nach wechselvollen Kämpfen aufgegeben …
    So geschickt, so lyrisch, so heldenmütig kann man riesige Gebietsverluste, Einkesselungen, verzweifeltes Sichdurchschlagen, Untergänge von Divisionen, tausendfaches Sterben und die Erkenntnis vom Ende umschreiben!
    Die russische Sturmflut brandete über das Land. Ein Naturereignis war es – unaufhaltsam wie ein tobendes Meer.
    Nur die Deutschen erkannten es nicht.
    Mit Stalin privat zu sprechen, von Mensch zu Mensch – wie man so sagt –, war nur wenigen vergönnt. Wer kannte denn den Menschen Stalin, der so selten in seiner Datscha herumlief, auf einer Bank aus Birkenknüppeln saß, seine Pfeife rauchte, mit seiner Tochter Svetlana spielte oder unter einer Lampe hockte und Bücher las? Der Mythos des Mannes, dessen Leben der Kreml, dessen Herz Rußland, dessen Denken der Sozialismus und dessen Liebe sein Volk war, hatte sich so fest in das Gemüt der Russen gepflanzt, daß sie mit offenem Mund gestaunt hätten, wenn sie den anderen Stalin jemals gesehen haben würden.
    Ein unfaßbares, grausames Märchen wäre es gewesen, ein Blick in einen von Mißtrauen umzäunten Garten, durch den ein Mensch irrte, der selbst die Sonnenstrahlen zu Verrätern stempelte.
    Wie es General Radowskij gelang, in diesen alles hassenden Menschen einzudringen und von Oberst Smolkas ungeheuerlichem Geheimnis zu berichten, bleibt ein Rätsel – wie so manches unerklärbar ist, was Stalins inneres Wesen verdeckte.
    Oberst Smolka jedenfalls bekam sofort schweißige Handflächen, als Radowskij ihn im NKWD-Gebäude anrief und mit geradezu pervers gleichgültiger Stimme sagte:
    »Morgen um 23 Uhr. Ich erwarte Sie vor dem Haus und führe Sie zu dem gesperrten Nebenausgang.«
    »Um 23 Uhr?« wiederholte Smolka. Er fuhr sich mit der Hand durch sein kurzgeschnittenes Haar und merkte, daß er sogar auf der Kopfhaut schwitzte. »Eine ungewöhnliche Zeit, Genosse General.«
    »Das Phänomen der herrschenden Genies! Cäsar und Napoleon, Hitler und Stalin kommen mit zwei bis drei Stunden Schlaf aus. Warum die Natur ihnen auch noch die Nachtstunden zur Macht schenkt – fragen Sie im Himmel oder in der Hölle an, Igor Wladimirowitsch.«
    »Sie nennen Hitler ein Genie?«
    »Warum nicht? Alles die menschliche Vorstellungskraft Übersteigende ist genial. Auch vernichtender

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