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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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saß mit bebenden Nerven auf dem weichen Boden.
    Eine Schiene müßte ich mir machen, dachte er. Den zerbrochenen Knöchel bandagieren, rundherum mit Holz abstützen, zwei starke Äste unter die Achseln pressen und mich auf einem Bein vorwärtsbewegen. Das müßte möglich sein. Wenn ich nur einigermaßen beweglich bin, dann kann ich abwarten, bis der Knöchel wieder zusammengewachsen ist. Versteift wird er sein, aber die Hauptsache ist, daß man wieder auftreten kann.
    Sechs Wochen kann das dauern oder zehn, wer kann das sagen. Zehn Wochen in diesem Wald! Da können die anderen schon längst in Moskau sein und bei Milda Ifanowna auf ihn warten.
    Unmöglich – sagte Bunurian zu sich selbst. Das ist unmöglich, mein Lieber. Nur neue Kleider brauch' ich, dann geht es weiter. Gibt es eine bessere Erklärung für meine Wehrdienstunfähigkeit als diesen zerbrochenen Knöchel? Man wird mich umringen, mich bedauern, mit guten Ratschlägen versorgen, mir ein Glas Gurkensaft zu trinken geben oder ein Schüsselchen mit Kascha, wird zu mir sagen:
    »Welch ein Unglück! Kannst nicht mehr weiterkämpfen für uns, Brüderchen! Erzähl, wie's gewesen ist, Iwan Petrowitsch! Hast du's den Deutschen gegeben?«
    Und er würde erzählen: »Das war so, liebe Genossen: Ich liege im Loch, habe mich gut eingegraben, habe sogar ein Dach über dem Kopf, aus guten, soliden Balken, und so hätte ich's ausgehalten, bis mir der Bart weiß wird. Aber nein! Die Küche – diese Hundesöhne von Köchen, man sollte sie alle kastrieren! – liefert nach vier Tagen eine Suppe aus Kohl. Wir alle lieben sie, meine Freunde, schöne, duftende Kohlsuppe, die macht das Herz weit. Aber was bringen sie uns da von der Kompanieküche? Eine saure Suppe! Hat ein paar Tage im Kessel gestanden, weil die Deutschen schossen und keiner nach hinten konnte, Essen zu holen. Aber die Köche, diese Wolfsbrut, schütten sie etwa die saure Suppe weg? Nein! Sie wärmen sie auf, sauer, wie sie ist, kümmern sich nicht um die Gärblasen, die aus dem Kessel hüpfen, und schicken uns den Fraß nach vorn! Was tun? Wißt ihr, wie ein Magen brüllt, der seit vier Tagen leer ist – und plötzlich Kohl riecht? Wir stürzen uns über die saure Suppe, und schwupp ist sie weg! Doch ein paar Stunden später! Genossen, ein Leib ist auch nur ein Stück Natur. Ehe mir die Därme platzen, hab' ich mir gesagt, und eh' du dir dein schönes Schützenloch verschmutzt, werde ein Held! Ich also 'raus aus meinem Unterstand und durch den flachen Laufgraben gekrochen zu einem Hügelchen, die Hose runter, und dann, ich schwör' es euch, feuerte es aus mir heraus wie aus einer Rakete! Und da muß irgendwie bei dieser Tätigkeit mein linker Fuß aus der Deckung geraten sein. Ich bekomme einen Schlag ans Bein, falle um, rolle mich geistesgegenwärtig weg von den Auswirkungen der sauren Suppe und liege dann da, mit zuckendem Bein und zerschossenem Knöchel. O diese Deutschen! Selbst das Scheißen gönnen sie einem nicht!«
    Das würde er erzählen. Und alle würden lachen, ihn hochleben lassen, alles für ihn tun, daß er zum Zug nach Moskau kommt. Man würde ihn in einen Waggon heben und ihm den besten Platz anbieten. Ein Held! Ein zweifaches Opfer sogar: einmal der Deutschen – und einmal der Feldküche der Roten Armee …
    Bunurian unterbrach, legte sich wieder auf den Rücken. Sein linker Fuß hämmerte, als läge er auf einem Amboß. Der Schmerz wurde penetrant, nicht mehr stechend und lokalisierbar, sondern allgegenwärtig und bis in die Schläfen ausstrahlend. Er suchte ein Stück Holz – erinnerte sich an einen Landarbeiter vom elterlichen Gut bei Riga, der unter einen fallenden Baum geraten war, der ihm das Bein abquetschte –, auch er schob nun ein Stück Holz zwischen seine Zähne und hieb die Kiefer zusammen. Dann drehte er sich auf die rechte Seite und begann, Zentimeter um Zentimeter vorwärts zu kriechen.
    Es war fürchterlich. Von seinem linken Bein aus flammte der ganze Körper auf, trotz des Holzes zwischen den Zähnen stöhnte er, Schweiß brach aus, als sei jede Pore ein Springbrunnen, rann über das Gesicht, biß in die Augen und lief als Rinnsal über das Holz zwischen seinen Zähnen in den Gaumen. Nach wenigen Metern lag er still, preßte das Gesicht in die Erde und zerkaute das Holzstück, als sei er ein ausgehungerter Hund, der einen Knochen gefunden hat.
    So geht das nicht, dachte er. So geht das nie! Noch ein paar Meter, und ich brülle, daß sie drüben in den

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