Sieben Jahre Sehnsucht
einfach den Weg gegangen bist, den Masterson dir durch seine Geschenke vorgezeichnet hat.«
Er senkte den Blick auf seine Hand. »Ich habe von Masterson nichts verlangt, aber meiner Mutter hat es sehr viel bedeutet, dass ich seine großzügigen Geschenke annehme. Ich schlug Zuckerrohr vor, weil ich wusste, es würde profitabel sein und mich für längere Zeit auf der Insel halten, was ganz in Mastersons Sinn war. Ich bin für ihn viele Jahre lang eine Quelle des Unmuts gewesen.«
Jess entsann sich, wie sie vor langer Zeit etwas Ähnliches zu Hester gesagt hatte, und empfand Bedauern für diesen grausamen Gedanken. Sie hatte vorschnell über Alistair geurteilt, indem sie ihm unterstellte, keinerlei Ehrgeiz oder Geschäftssinn zu haben. Sie hatte ihn aufgrund der Rangfolge seiner Geburt abgelehnt. Und weil sie sich über Hesters Bewunderung geärgert hatte. Nun konnte sie das zugeben. Obwohl die Schwärmerei ihrer Schwester naiv und oberflächlich gewesen war, hatte sie in Jess Neid und Konkurrenzgefühle hervorgerufen.
»Manche Väter meinen es gut, wenn sie ihre Zuneigung durch Härte ausdrücken«, lenkte sie ein. »Ihre Methoden lassen vielleicht zu wünschen übrig, aber die Absicht ist lobenswert.« Ihrem eigenen Vater gestand sie derlei hehre Motive nicht zu, doch das spielte keine Rolle.
»Woher willst du das wissen?«, neckte er sie. »Du bist immer perfekt gewesen. Und ich war immer weit davon entfernt.
»Perfektion, wenn du es so nennen willst, erfordert viel Anstrengung.«
»Bei dir hat das nicht den Anschein.« Einhalt gebietend, hob er die Hand, um jeden Widerspruch abzuwehren. »Mastersons Zuneigung gilt einzig und allein meiner Mutter. Nur ihretwegen zeigt er sich mir gegenüber großzügig. Ich bin ihm dafür dankbar, auch wenn er es nur ihr zuliebe tut. Trotz des bösen Bluts zwischen uns verdient seine bedingungslose Liebe für meine Mutter meine Hochachtung.«
»Was schaffte zwischen euch böses Blut?«
»Wenn du mir deine Geheimnisse anvertraust, werde ich dir meine anvertrauen.« Alistairs umwerfendes Lächeln milderte seine abweisende Antwort. »Du bist eine sehr geheimnisvolle Frau, Jessica. Ich halte es für das Beste, wenn ich für dich gleichermaßen rätselhaft bleibe.«
Nachdenklich kaute Jess auf ihrem Brot. Sie wünschte, sie wäre tatsächlich so außergewöhnlich, wie er sie sah. Da ihre Erziehung so streng gewesen und jeder Fehler so erbarmungslos bestraft worden war, war sie überzeugt, dass alles, was an ihr besonders gewesen sein mochte, verdorrt und abgestorben war.
Doch dank Alistair fragte sie sich nun, ob das wirklich stimmte. Und wie es wäre, eine Frau zu sein, die für einen Mann ebenso faszinierend war wie er für sie. Ein Mann, der so viel dunkle Sinnlichkeit besaß und ein so schillerndes Wesen, dass manche Frauen für das Privileg, ihn für eine kurze Zeit zu besitzen, sogar bezahlten.
Ihre Fantasie begann mit ihr durchzugehen, ersann eine Vergangenheit, die interessant genug war, um ihr eine Aura von Besonderheit zu verleihen.
»Nun, ich könnte dir über die Zeit erzählen, als ich die Gefangene des Wüstenscheichs war …«, fing sie an.
»Ach?« Ein amüsiertes Funkeln glomm in seinen Augen auf. »Ja, bitte.«
10. Kapitel
Alistairs Faszination für Jessica nahm mit jedem Tag zu, und er fürchtete, dieses nachmittägliche Picknick könnte sein Schicksal besiegeln. Was würde ihre erfundene Geschichte über sie selbst aussagen? Die bloße Tatsache, dass sie diese Idee überhaupt gehabt hatte, verriet schon sehr viel über sie – sie konnte fantasievoll sein, abenteuerlustig, verspielt …
Doch er wusste, sie hatte verborgene Seiten. Er hatte einen kurzen Einblick darin bekommen. Mehr als alles andere war es diese Verbundenheit – dieses Erkennen einer verwandten Seele, die sich, um zu überleben, hinter einer künstlichen Fassade verbergen musste –, die ihn zu ihr hinzog. Er konnte den Tag kaum erwarten, wenn sie sich selbst besser kennengelernt hätte. Was für eine hinreißende Frau würde sie werden, wenn sie ihre zahlreichen verborgenen Reize endlich akzeptierte und davon Gebrauch machte.
Sie drehte den Kopf zur Seite, schirmte ihr Gesicht vor seinem Blick ab. »Ich reiste mit einem Beduinenstamm. Wir transportierten auf Kamelen Salzplatten, als wir von einem rivalisierenden Stamm überfallen wurden.«
Eine solch exotische Kulisse für eine Frau, die als Prototyp einer wohlanständigen englischen Lady galt? Und eine hilflose junge Dame in Not?
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