Sieben Jahre später
hintereinander zwei Nachrichten hinterlassen und dringend um Rückruf gebeten.
»Wir haben große Schwierigkeiten, Sebastian. Farasio hat mehrmals versucht, dich zu erreichen, und er beklagt sich, dass du dich nicht bei ihnen meldest.«
»Ich war verhindert. Ein unvorhergesehenes Problem.«
»Hör zu, sie sind unangemeldet in der Werkstatt aufgetaucht und haben gesehen, dass du nicht da bist. Sie wollen vor dreizehn Uhr eine Bestätigung von dir. Eine Bestätigung, dass du deine Expertise bis heute Abend ablieferst.«
»Und wenn nicht?«
»Wenn nicht, geben sie Furstenberg den Auftrag.«
Sebastian seufzte. Seine Pechsträhne hatte heute Morgen begonnen, und er wusste nicht mehr, wie er sie beenden sollte. Er versuchte, seine Lage in Ruhe zu überdenken. Der Verkauf der Carlo Bergonzi konnte ihm eine Kommission von bis zu einhundertfünfzigtausend Dollar einbringen. Diese Summe hatte er schon im Budget eingeplant und brauchte sie, um die Firma liquid zu halten. Aber neben dem finanziellen Faktor hätte der Verlust der Bergonzi eine gefährliche Signalwirkung. Die Geigenwelt war ein kleines Universum, in dem sich alles schnell herumsprach.
Dieser Verkauf war eine Prestigefrage, und würde er den Auftrag verlieren, wäre das zum Vorteil seines Hauptkonkurrenten Furstenberg.
Das war keine Neuigkeit für Sebastian. Er arbeitete seit über zwanzig Jahren mit Künstlern zusammen und wusste, dass sie launisch, gequält und von Selbstzweifeln zerfressen waren. Interpreten, die ebenso labil wie genial waren, Musiker mit einem übergroßen Ego, die Wert darauf legten, mit dem besten Geigenbauer zu arbeiten. Und der Beste war er! Innerhalb der letzten zwanzig Jahre hatte er Larabee & Son zur bekanntesten Geigenbauwerkstatt der USA gemacht. Mehr noch als Geschicklichkeit bescheinigte man ihm eine wirkliche Begabung, ein überdurchschnittliches Gehör und ein außergewöhnliches Gefühl für seine Kunden, sodass er ihnen Instrumente anbieten konnte, die perfekt zu ihrer Persönlichkeit und ihrem Spiel passten. Bei Blindtests übertrafen seine Geigen regelmäßig die Stradivaris und Guarneris. Und, das war die höchste Auszeichnung, seine Instrumente waren inzwischen ein Qualitätslabel geworden. Die Musiker kamen zu ihm, um eine »Larabee« zu kaufen. Dank dieses Rufs gehörten jetzt die Virtuosen unter den Violinisten zu seinen Kunden. Stars, die er hatte überzeugen können, weil es heute keinen Zweifel mehr daran gab, dass er der Kompetenteste war, um ihre Instrumente zu betreuen und neue für sie zu bauen. Diese Position stand jedoch auf tönernen Füßen. Sie basierte ebenso auf seinem objektiven Know-how wie auf einem gewissen Zeitgeist, auf dem richtigen Gleichgewicht zwischen Werbung und schmeichelhafter, aber unbeständiger Mund-zu-Mund-Propaganda. Und in diesen Krisenzeiten lauerten Furstenberg und andere Geigenbauer mehr denn je auf den geringsten Fehler seinerseits. Er durfte diesen Auftrag also auf keinen Fall verlieren. Schluss, aus!
»Ruf sie in meinem Namen an«, bat er Joseph.
»Sie wollen aber mit dir reden.«
»Sag ihnen, dass ich mich in einer Dreiviertelstunde, sobald ich wieder im Büro bin, melde. Und dass sie die Expertise vor heute Abend bekommen.«
Er beendete das Gespräch zur gleichen Zeit wie Nikki.
»Camille geht nicht dran«, erklärte sie. »Ich habe ihr eine Nachricht hinterlassen. Warum wolltest du sie nicht selbst anrufen?«
Statt zu antworten, erklärte er: »Hör zu, Nikki, ich muss noch einmal ins Büro.«
Verblüfft starrte sie ihn an. »Ins Büro? Dein Sohn ist verschwunden, und du gehst arbeiten!«
»Ich komme um vor Sorge, aber ich bin kein Polizist. Man müsste Nachforschungen …«
»Ich rufe Santos an«, unterbrach sie ihn. »Der weiß wenigstens, was zu tun ist!«
Gesagt, getan. Sie wählte die Nummer ihres Liebhabers und erzählte ihm in groben Zügen von Jeremys Verschwinden.
Sebastian beobachtete sie unbeeindruckt. Sie versuchte, ihn zu provozieren, doch das funktionierte nicht. Was konnte er schon tun? In welcher Richtung suchen? Unfähig, eine Entscheidung zu treffen, fühlte er sich ebenso ängstlich wie machtlos.
In dieser Situation wäre das Eingreifen der Polizei eine Erleichterung. Sie hatten die Behörden ohnehin viel zu spät informiert.
Während er wartete, bis sie zu Ende telefoniert hatte, nahm er in dem Beiwagen Platz, setzte den Lederhelm – der sicher nicht den Vorschriften entsprach – und die große Brille auf. Er fühlte sich
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