Sieben Siegel 01 - Die Rückkehr des Hexenmeisters
Granitregen ging auf den Altar und die Kirchenbänke nieder.
Die Kinder hatten sich vor dem Tor zusammengekauert. Keiner von ihnen verstand, was geschehen war. Kyra dachte nur: »Tante Kassandra, du wirst eine Menge zu erklären haben, wenn wir jemals lebend hier rauskommen …«
Vier Leuchtkugeln rasten auf die Kinder zu, und ehe irgendwer die Flucht ergreifen oder auch nur aufschreien konnte, traf jede ihr Ziel.
Es tat nicht weh. War nicht einmal unangenehm.
Kyra spürte verblüfft, wie eine der Kugeln über ihren Unterarm rollte. Siebenmal blitzte es an der Stelle, wo die Glut sie berührte. Eine sanfte Wärme ging davon aus, und eine tiefe Ruhe ergriff von ihr Besitz.
Auch den anderen fügten die Kugeln kein Leid zu. Chris, Nils und Lisa fühlten, wie die Lichter über ihre Haut strichen, aber keiner verspürte Schmerzen. Auf einen Schlag wichen all ihre Ängste. Es war, als radierten die Glutkugeln ihre Furcht einfach aus.
Dann aber schwebten die Lichter wieder empor und zogen sich zurück. Wie ein Schwarm heller Leuchtkäfern schwirrten sie auf das offene Buch zu und verschwanden in dem Geheimfach. Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen, dann fauchte plötzlich eine Stichflamme aus der Öffnung empor, entzündete die uralten Seiten und verwandelte sie in einen lodernden Feuerball. Innerhalb weniger Atemzüge zerfiel das Buch der Namen zu Ascheflocken.
Kyra starrte entgeistert auf die Stelle, an der die Lichtkugel sie berührt hatte.
Auf der bloßen Haut ihres Unterarms waren sieben Male erschienen. Erst glaubte sie, es seien Brandwunden. Doch als sie mit der Fingerspitze darüber fuhr, tat es nicht weh. Ihre Haut fühlte sich glatt und gesund an.
Sie schaute genauer hin und bemerkte, dass es sieben Symbole waren. Sieben sonderbare Zeichen.
Auch die anderen hatten ihre Ärmel zurückgestreift und blickten verwirrt auf ihre Unterarme. Jeder von ihnen hatte die gleichen Male zurückbehalten, wie Tätowierungen.
Sie sahen aus wie Schriftzeichen aus einem längst vergangenen Zeitalter.
Viel später, nachdem sich die Kinder und Tante Kassandra zurück zur Stadt geschleppt hatten, regte sich etwas im Inneren von Sankt Abakus. Eine Windböe fuhr zwischen die Kirchenbänke und wehte die Asche der Hexen und die Überreste ihres Meisters durch das Tor. Draußen wurden sie in alle Himmelsrichtungen verstreut.
Und noch etwas geschah.
In den Schatten des Treppenschachts entstand Bew e gung. Etwas Silbernes schoss mit flatternden Flughäuten empor und zog eine Schleife durch das verlassene Innere der Kirche.
Die Wunden des Fisches rauchten nicht mehr. Das Weihwasser hatte Spuren zurückgelassen, aber keine davon war tödlich.
Sekunden später zerbarst eines der Buntglasfenster, und der Fisch raste durch den funkelnden Scherbenregen ins Freie.
Wie ein metallisches Geschoss jagte die Kreatur über die Wiesen und Hecken, über den Bahndamm und das Hügelgrab. Zuletzt wurde sie von zwei Amseln gesehen, die erschrocken auseinander stoben, als das Albtraumw e sen an ihnen vorüberschoss.
Ein letztes Aufblitzen von Sonnenschein auf silbernen Schuppen, dann verschwand der Fisch in den Tiefen der Wälder.
Das Erbe
Die vier Kinder saßen mit Tante Kassandra im Teeladen.
Kyra hatte von oben zwei Stühle hinzugeholt, damit jeder einen Sitzplatz hatte. Alle hatten sich der Reihe nach geduscht, und Tante Kassandra hatte an die Jungen ein paar Pullover verteilt. Lisa trug ein Sweatshirt von Kyra. Obwohl sie ihre Kleidung gewechselt hatten, roch es im ganzen Laden nach Fisch.
»Das stinkt ja schlimmer als der Krabbentee von vor zwei Wochen«, bemerkte Nils.
Tante Kassandra schenkte ihm einen rügenden Blick, erwiderte aber nichts darauf.
»Ihr habt bemerkt, dass sich die Male auf euren Armen nicht abwaschen lassen, nicht wahr?«, sagte sie stattdessen. Die Kinder nickten. »Nun, das ist kein Wunder. Es sind magische Male. Man nennt sie die Sieben Siegel. Und ihr seid nicht die Ersten, die sie tragen. Kyras Mutter besaß sie ebenfalls.«
»Meine Mutter ?«, ent fuhr es Kyra verwirrt.
»Aber ja.« Tante Kassandra lächelt sanft. »Wir haben niemals darüber gesprochen, weil dein Vater und ich die Hoffnung hatten, dass es vielleicht nicht nötig sein würde. Jetzt aber ist der rechte Zeitpunkt gekommen. Du, Kyra, wirst das Erbe deiner Mutter antreten. Und deine Freunde hier werden dir helfen. Das werdet ihr doch, oder?«
Das Nicken der anderen wirkte nicht besonders überzeugend. Und wer
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