Sieben Stunden im April
ich. Ich ärgere mich auch nicht über dich. Aber über alles andere.«
Er ist wütend. Er ist richtig wütend. Warum? Warum macht er es mir noch schwerer, als es sowieso schon ist? Das fragst du dich allen Ernstes? Lass ihn doch einfach nur mal wütend sein. Du fändest das auch alles nicht so witzig, wenn du an seiner Stelle wärst. Dieses ewige Theater mit dir. Und nicht mal ein normaler Museumsbesuch ist drin. Klar, dass ihn das ärgert. Nein, nicht klar. Er muss eben Rücksicht auf mich nehmen. Viel mehr Rücksicht. Ich tue doch schon, was ich kann. Warum reicht ihm das nicht? Genau. Tu dir mal ordentlich leid. Das macht die Sache bestimmt einfacher. Halt bloß die Klappe! Okay.
Ob wir das überhaupt schaffen? Kann man das schaffen? Du erwartest zu viel. Von dir und von ihm. Ich gebe mir doch so viel Mühe. Was soll ich denn noch tun? Wie ging dieses asiatische Sprichwort noch mal? »Wer ein Huhn heiratet, folgt einem Huhn. Wer einen Hund heiratet, folgt einem Hund.« Du hast halt einen L öwen geheiratet. Das wusstest du doch. Mensch, jetzt halt endlich bloß mal die Klappe. Okay.
Wochen später:
Besorg die Karten.
Ja.
An der Theaterkasse sitzt eine Frau in meinem Alter. Sie erinnert mich an eine Südamerikanerin, ihr Akzent ist hart und gleichzeitig samtig-wohlklingend. Neben ihr: ein Buch. Hinter ihr: eine große Tasche. Die hätte ich auch gekauft, denke ich.
»Ich möchte zwei Karten für Samstagabend. Was läuft denn da?«
»Miss Sara Sampson. Von Lessing.«
Nie gehört.
»Gut. Zwei Karten, bitte.«
Ich zahle, verstaue die Karten in meiner Tasche, will gehen. Ich halte schon die Türklinke in der Hand.
Keine Macht der Angst. Keine Scheißmacht dieser Scheißangst.
Ich gehe zurück zu der Frau mit dem interessanten Akzent und der tollen Tasche. Sie blickt von ihrem Buch auf.
»Können Sie mir zeigen, wo die Plätze sind?«
»Natürlich.«
Sie greift nach einem Plan und zeigt auf unsere Plätze.
Ich atme tief durch.
Keine Macht dieser Scheißangst, sage ich mir.
»Das sind gute Plätze. Gute Sicht auf die Bühne.« Sie sieht mich an.
Keine Scheißmacht der Angst, wiederhole ich. Und nur ich kann es hören.
»Haben Sie auch Plätze am Rand? In der Nähe eines Ausganges?«
Sie sieht mich weiter an. Fragend.
E s ist ganz einfach. Sprich es aus. Sag es. Was soll passieren? Sprich die Worte aus. Sag sie laut.
Ich hole Luft und sage es. Meine Stimme fühlt sich belegt und gehetzt an. Als würde man weniger verstehen, wenn ich die Worte heraushetze. Weniger irritiert sein.
Ich höre mich sagen:
»Ich habe ein Angstproblem.«
Angstproblem. Ich hätte alles Mögliche sagen können. Aber mir fällt nur Angstproblem ein.
Sie lächelt mich an, breit, herzlich, ohne mitleidiges Erstaunen.
»Das kenne ich. Das habe ich auch. Ich bin deswegen schon lange in Therapie.«
Zwanzig Minuten später kenne ich ihre Lebens- und Krankheitsgeschichte. Ich weiß, woher sie kommt, nämlich aus Bulgarien, und ich weiß, wann und wo sie ihre erste Panikattacke hatte. Ich weiß auch, warum.
Mit diesem Wissen und zwei Karten für Plätze in Ausgangsnähe gehe ich. Es war ganz einfach.
Beim Friseur:
»Nehmen Sie bitte das Papierding von meinem Hals? Diese Manschette. Das kann ich nicht haben.«
»Ich kann sie ein bisschen weiter einstellen. Lockerer.«
»Nein, es soll weg.«
»Na klar.«
Im Büro gegenüber:
»Guten Tag, ich möchte einen Platz in der Tiefgarage mieten.«
»Gerne. Nummer 75 ist frei.«
»Den nicht. Ich brauche einen Platz gleich gegenüber der Einfahrt. Dort, wo es möglichst hell ist und gleich neben dem Ausgang. Ich bin vor nicht so langer Zeit überfallen worden.«
»Natürlich, das kriegen wir hin. Moment mal … Nummer 23? Wäre das in Ordnung für Sie?«
»Ja, prima. Vielen Dank.«
Beim Arzt:
»Können Sie die Tür etwas offen lassen? Vielleicht nur anlehnen?«
»Ja sicher.«
Es ist ganz einfach. Ein neues Leben erfordert neue Sätze. Und Scham muss man sich auf Dauer leisten können. So einfach ist das.
Irgendwo habe ich den Satz gelesen oder gehört: Das Gute an einer Depression ist, dass man endlich mal ausschlafen kann. Mein Pendant: Das Gute an einem Trauma ist, dass man endlich mal ehrlich sein kann. Und muss.
Miss Sara Sampson hat mir übrigens sehr gut gefallen. Die Sch’tis erstaunlicherweise auch – aber das kann man natürlich nicht wirklich miteinander vergleichen.
Immerhin ist die Geschichte der guten Sara bereits im Jahre 1755 erschienen und
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