Siebenpfahl (German Edition)
versuchen musste, was einen weiteren halbstündigen Fußmarsch
bedeutete.
*
D er Tod des Kaplans hatte sich schnell herumgesprochen. Unzählige
Bürger waren zu seiner Unterkunft gekommen und standen in der Reihe der
wartenden Menschen, die ihm die letzte Ehre an seinem Sterbebett erweisen
wollten.
Vielen von ihnen standen Tränen in den Augen. Der Kaplan war
überaus beliebt gewesen und hatte als ein gnädiger Diener Gottes gegolten. Er hatte
den Armen und Kranken geholfen, wofür er oft sogar Nachteile für sich selbst in
Kauf genommen hatte. Für ihn war es stets eine Freude gewesen, anderen Menschen
zu helfen. Er war ein ergebener Diener Gottes und somit der Kirche gewesen,
doch er hatte auch Abscheu gegen die Gebaren empfunden, die die Kirche nicht
selten an den Tag legte. Viele Bischöfe und andere Würdenträger sahen in den Menschen
nur Geldesel und beuteten sie aus. Er selbst hatte sich offen zu seinem Wunsch
nach einer Reformation bekannt, die die Kirche in seinen Augen dringend notwendig
hatte.
Der Doktor trat ins Freie, blickte traurig auf die lange Menschenreihe
vor der Unterkunft des Kaplans, dann ging er weiter. Er wollte die Jungen
aufsuchen, wollte mit ihnen sprechen, denn der Kaplan hatte ihm kurz vor seinem
Tod aufgetragen, ihnen zu helfen. Sie wären gute Menschen hatte er ihm gesagt, die
nur zu ihren Familien zurück wollten. Es waren die letzten Worte des alten
Geistlichen gewesen, dann war er gestorben.
Als er an der Tür zu Conrads Unterkunft anklopfte, öffnete Margret.
Er blickte in ihre verweinten Augen und nickte, als sie ihn hereinbat. Er
wusste nicht recht, was er sagen sollte, schaute vorerst nur stumm in die
Gesichter der Jungen, die ebenfalls von tiefer Betroffenheit gekennzeichnet
waren. »Wenn ich euch irgendwie helfen kann, so lasst es mich wissen«, waren
seine ersten Worte, die er mit aufrichtiger Stimme sprach.
»Wir werden … so wie es ausschaut, einige Pflanzen benötigen, um
eine Flüssigkeit herstellen zu können«, erklärte Christopher. »Der Kaplan
wollte diese mit uns suchen, aber leider ist das nun nicht mehr möglich.«
Am liebsten hätte der Doktor die Frage gestellt, wofür sie die Flüssigkeit
benötigten, doch er wollte nicht, dass sie weiterhin das Gefühl hatten, er
misstraue ihnen. So nickte er nur. »Ich werde euch dabei helfen.«
Margret lächelte dankbar. »Wir warten noch auf ein Buch, in dem
die benötigten Pflanzen geschrieben stehen. Bleibt nur zu hoffen, dass Conrad
durchkommt und es noch rechtzeitig zu uns schafft. Er befindet sich auf dem Weg
zu uns, irgendwo da draußen vor den Stadtmauern.«
»Sagt mir Bescheid, wenn er da ist.«
»Das werden wir«, versprach Margret.
Der Doktor lächelte sanft, dann ging er …
*
D ie Dämmerung war bereits deutlich vorangeschritten. Siebenpfahl befand
sich kurz vor der Burg Rodenstein. Er ritt in scharfem Galopp, was man ihm aufgrund
seines Alters nicht mehr zugetraut hätte. Soeben erreichte er das Burgtor. »Aufmachen!«,
rief er ungeduldig nach oben. »Oder schlaft ihr alle?«
»Ich mache ja schon, nur keine Hast!«, rief einer der Wächter und
äugte durch den Spähschlitz. Kurz darauf wurde die Zugbrücke heruntergelassen.
Kaum dass sie auf dem Boden auflag, trieb Siebenpfahl sein Pferd scharf
an. Er fluchte und fuchtelte dabei wild mit der Hand in der Luft herum, während
das Hufgetrampel, das sein Pferd auf der Holzbrücke erzeugte, im Burghof
widerhallte.
Der Vogt, der auf den Lärm aufmerksam geworden war, trat aus dem
Hauptgebäude.
»Holt mir den Jungen aus dem Kerker«, schrie Siebenpfahl, während
er vom Pferd stieg und sich an der Satteltasche zu schaffen machte. »Fesselt
ihn aber vorher!«
Der Vogt sah betroffen drein, dann brachte er zögerlich hervor: »Der
Junge ist geflüchtet!«
Siebenpfahl ließ von der Satteltasche ab. Langsam drehte er sich
um und musterte den Vogt ungläubig. »Das ist nicht wahr, was Ihr da sagt!«,
schrie er los. »Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass Euch ein zwölfjähriger
Junge überlistet hat?« Siebenpfahl war außer sich. Der Junge wäre seine Geisel
gewesen. Er hätte ihn im Tausch gegen das Buch der Zauberpulver anbieten
können. »Wie konnte der Junge entkommen? Er war doch im Kerker eingesperrt …
und ich sagte Euch, dass niemand zu ihm hinein dürfe.«
»Antonius hat ihm geholfen«, erklärte der Vogt.
Siebenpfahl erstarrte. Sein Gesicht verzog sich zu einer hasserfüllten
Fratze. Von Anfang an hatte er gespürt, dass
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