Sieg der Herzen
hatte stets versucht, dankbar zu sein; ohne ihre Tante wäre sie nach dem Tod ihres Vaters arm und obdachlos gewesen.
»Was sonst hast du noch nicht erzählt«, fragte Olivia. Ihre Stimme klang fest, jedoch freundlich.
Jamie zögerte, »'ne Menge«, gestand sie nach langem Schweigen. »Einiges davon wird dir gar nicht gefallen.«
»Sag es.«
Die Augen des Mädchens nahmen einen ängstlichen und schmerzlichen Ausdruck an. »Ich möchte nicht, dass du mich hasst.«
Olivia umfasste das schmale Gesicht mit beiden Händen. »Hör mir zu«, sagte sie eindringlich. »Ich werde dich niemals hassen, ganz gleich, was kommt. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dich hier bei mir zu behalten, vorausgesetzt, du willst bleiben, meine ich.«
Jamie nickte sofort und legte dann die Stirn in Falten. »Gibt es einen Anwalt in dieser Stadt? Wenn es einen gibt, könnten wir zu ihm gehen und mit ihm sprechen. Du könntest mich adoptieren.«
Olivia war nicht begeistert von der Aussicht, Gage Calloway aufzusuchen, den einzigen Anwalt von Springwater - sie war schließlich immer noch gekränkt nach ihrem Scheitern bei der Versammlung des Stadtrats doch angeblich war er sehr gut in seinem Job. Sie wusste, dass es das einzig Vernünftige war, ihn zu konsultieren.
»Ich werde ihn bei der nächsten Gelegenheit besuchen«, versprach Olivia. »Unterdessen müssen wir aber Marsha l Spencer über den Tod deines - über Axels Tod informieren.«
Alle Farbe wich aus Jamies Gesicht. »Der Marsha l wird mich verhaften. Er wird mich ins Gefängnis stecken und nie wieder herauslassen!«
»Nein«, sagte Olivia fast flüsternd. »Nein, Liebes.« Als Jamie zu schluchzen begann und ihr Körper unter der Last ihrer Emotionen erbebte, zog Olivia das Kind auf ihren Schoß und drückte es an sich, wiegte es sanft und murmelte mütterlich tröstende Worte. »Pst. Niemand wird dich ins Gefängnis stecken.«
»Aber Axel hat es gesagt...«
»Axel hat gelogen. Anständige Leute sperren keine kleinen Mädchen ein, Liebling.«
Jamie schaute zu ihr auf. »Aber - aber Axel hat gesagt - ich wäre sein Tod ...«
»Nun«, sagte Olivia und wünschte, Axel wäre noch am Leben, damit sie es genießen konnte, ihn persönlich umzubringen, »das warst du nicht. Er starb an seiner Trinkerei, Jamie, und vermutlich an Unterkühlung.«
»Unterkühlung?«
»Weil er in der Kälte herumlag.«
»Ich habe ihn mit einer Decke zugedeckt«, vertraute Jamie ihr an. »Er schnarchte, als ich das tat. Er schnarchte immer.«
Abermals streichelte Olivia dem kleinen Mädchen über das weizenblonde, seidige Haar. »Dann hast du alles getan, was du tun konntest«, sagte sie. »Liebling - hat er dir jemals irgendetwas angetan?«
Jamie schüttelte heftig den Kopf. Ein Funkeln kehrte in ihre Augen zurück. »Er hätte mich manchmal gern verprügelt, aber er konnte mich nie schnappen«, flüsterte sie mit einem leichten Lächeln. Dann schmiegte sie den Kopf an Olivias Schulter. »Du kannst mich eine Weile in den Armen halten, wenn du willst«, fügte sie hinzu.
Olivia drückte der Kleinen einen Kuss aufs Haar und hielt sie fest an sich, was für sie selbst genauso tröstend war wie für Jamie. Sie fühlte sich stark, fähig, in der Lage, die Bedürfnisse dieses Kindes und jedes anderen zu erkennen, wenn das Glück ihr eines schenken würde. Zum ersten Mal kamen ihr Tante Eloises scharfer Tonfall und ihre bösen Blicke nicht in den Sinn. Tante Eloises strenges Gesicht und ihr bevormundendes Verhalten ver-blassten in ihrer Erinnerung, und sie konnte sich gar nicht mehr richtig an den keifenden Tonfall der alten Frau erinnern.
Es war wie eine Erlösung für sie. Endlich bin ich dich los, dachte sie. Du hast mich lange genug verfolgt.
Sie saßen immer noch eng aneinander geschmiegt da, und das Abendessen stand immer noch nicht auf dem Tisch, als Jack hereinkam. Er war schwarz vor Dreck und offensichtlich bis auf die Knochen durchgefroren, aber er war da. Für Olivia genügte das für heute und für den Augenblick.
»Wir hatten soeben ein ziemlich wichtiges Gespräch, Jamie und ich«, sagte sie freundlich.
Jamie, die bis dahin gedöst hatte, öffnete die Augen und blinzelte. »Jack!«, rief sie, so erfreut, als sei der Erzengel Gabriel in der Küche erschienen.
»Hallo, Kleine«, sagte er ruhig, aber er sah immer noch Olivia an.
Sie stellte Jamie auf die Füße und stand auf. »Sie werden etwas zu Abend essen wollen«, sagte sie.
Er seufzte. »Ich glaube, ich bin zu
Weitere Kostenlose Bücher