Sieg der Leidenschaft
operiert.« Ungeduldig schlug Brent mit seinem Hut gegen seinen Schenkel. »Wie lange wird das noch dauern? Immerhin bin ich ein Colonel. Aber ich fürchte, ich musste einigen Generälen den Vortritt lassen.«
»Fahr doch zum Hospital, Brent. Du musst nicht mit mir warten.«
»Gemeinsam machen wir sicher einen nachhaltigeren Eindruck. Vor allem, wenn ich auf meinen Bruder Jerome hinweise, den gefeierten Nationalhelden.«
»Zweifellos. Aber inzwischen könnten einige deiner Patienten sterben.«
»Sie werden von meinen Kollegen betreut...«
»... die nicht so tüchtig sind wie du«, unterbrach sie ihn.
»Damit hast du natürlich Recht«, grummelte er. »Aber einen Nachmittag werden sie ja wohl ohne mich auskommen.«
Noch während er sprach, hörten sie schrilles Geschrei, das aus dem Haus drang. Erschrocken starrten sie sich an, wollten in die Halle zurückkehren, wurden aber von einem kräftig gebauten Diener zurückgehalten. »Jetzt darf niemand hereinkommen!«
»Was ist geschehen, Mann?«, fragte Brent ärgerlich. »Ich bin Arzt!«
»Zu spät. Ein Unfall. Der kleine Joseph Emory ist vom Balkon gefallen.«
Tia glaubte, das Blut in ihren Adern würde zu Eis gefrieren.
»Verzeihen Sie - ich muss das Kind sehen!« Ihr Vetter schob sich energisch an dem Mann vorbei und sie folgte ihm.
In der Halle drängten sich aufgeregte Leute und niemand hielt Tia und Brent zurück, als sie in den Oberstock rannten und die grausige Szene durch ein Fenster betrachteten. Eilends kehrten sie ins Erdgeschoss zurück, stürmten ins Freie und um das Haus herum zur Rückfront. Rings um den Schauplatz der Tragödie hatte sich inzwischen eine große Menschenmenge versammelt. Atemloses Stimmengewirr erklang.
»So hart hat der Präsident die ganze Zeit gearbeitet ...«
»Mrs. Davis hat die Kinder nur kurz verlassen, um ihm den Lunch zu bringen.«
»Und da stürzte der Junge herab.«
»Der Liebling seines Vaters ...«
»Und nun starb er in den Armen des Präsidenten.«
»Armer Kleiner ...«
Direkt unter dem verhängnisvollen Balkon kniete Jefferson Davis, der Präsident der Konföderation, und hielt sein lebloses Kind in den Armen. Ein lautloses Schluchzen erschütterte seinen Körper. Neben ihm lag seine Frau auf den Knien, in Tränen aufgelöst. Von heißem Mitgefühl erfasst, stellte Tia fest, dass die First Lady der Südstaaten wieder schwanger war.
Und in diesem Zustand musste sie ein so maßloses Leid ertragen ...
»Sir ...« Ein Soldat ging mit einer Depesche auf den Präsidenten zu.
»Nicht mir gehörte er, o Herr, sondern Dir!«, stieß Davis hervor. »Nicht mir - nur Dir ...«
Trotz ihrer Verzweiflung erhob sich Varina majestätisch, sagte nichts, schaute den Soldaten nur an. Da senkte er den Kopf und wandte sich ab. Dieser Anblick würde sogar das härteste Herz erweichen - der hübsche, fünfjährige Joe, tot in den Armen seines Vaters. Kein menschlicher Feind hätte den Präsidenten so tief ins Unglück stürzen können wie der Allmächtige an diesem Tag.
Welche dringenden Geschäfte die Konföderation auch immer herausfordern mochten, sie mussten warten. Varina sank wieder auf die Knie, neben ihrem Mann und der Leiche ihres Sohnes.
Reglos stand Tia da, ohne Brents Hand zu spüren, die ihren Arm umfasste. Unzählige Menschen -hatte sie sterben sehen. Aber der Verlust eines Kindes erschien ihr so ungerecht, so grausam, dass sie sich fragte, ob es überhaupt einen Gott im Himmel gab ...
Schließlich zog Brent seine Kusine von der ständig wachsenden Menschenmenge weg - von Dienstboten und Soldaten, Neugierigen und Freunden.
»Kann man denn gar nichts tun, Brent?«, wisperte sie.
»Für ein totes Kind kann ich nichts tun, Tia«, erwiderte er sanft.
Eine Zeit lang saßen sie im kleinen Büro der First Lady, das im Erdgeschoss lag, zusammen mit ihrer guten Freundin Mary Chestnut und anderen Leuten, die der Familie Davis nahe standen. Viele waren ins Weiße Haus gekommen, um ihre Hilfe anzubieten - und nur wenige wussten, was zu sagen oder zu tun war. Wie sollte man die Eltern in dieser schweren Stunde trösten? Immer mehr Boten trafen ein und wurden zu den Adjutanten des Präsidenten geschickt. Plötzlich entdeckte Brent die ungeöffnete Post, die sich auf einem Schemel neben Varinas Nähkorb stapelte. Der Absender des obersten Briefs lautete: »Rhiannon McKenzie, Cimarron, Tampa Bay, Florida.«
Sekundenlang schloss er die Augen. Der Brief war angekommen. Zu spät. Vielleicht lag das Schicksal doch in Gottes
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