Sieg der Leidenschaft
überlegte sie. Oder der Brief wird gar nicht erst in ihre Hände geraten ... Trotzdem musste sie ihr Bestes tun. Den qualvollen Traum durfte sie nicht ignorieren.
Sollte sie nach Richmond fahren und persönlich mit Mrs. Davis sprechen? Doch dann müsste sie ihr Baby mitnehmen und würde womöglich sein Leben riskieren. Wenn Julian wüsste, dass sie auch nur daran dachte ... Alaina konnte die Reise wegen ihrer beiden kleinen Kinder nicht antreten. Und seit Weihnachten erweckte sie den Eindruck, sie wäre wieder schwanger. Sydney, ebenso wie Alaina eine leidenschaftliche Rebellin, war jetzt mit einem Yankee verheiratet und lebte in Washington. Also konnte sich Rhiannon nur an Tia wenden, die irgendwo in der Nähe von St. Augustine für Julian arbeitete, an der Stelle seiner Frau. Irgendwie musste sie Tia erreichen ...
Entschlossen stand sie auf. Sie würde Jarrett um eine Eskorte quer durch den Staat bitten. Nun hatte die Trennung von Julian lange genug gedauert. Sie hatte sich gut von der Niederkunft erholt, ihr kleiner Sohn war kerngesund und kräftig genug für die Reise. Zweifellos würden die Schwiegereltern verstehen, dass sie sich nach ihrem Mann sehnte.
Als sie sich umdrehte, sah sie Alaina in der Tür stehen.
»Was hast du vor, Rhiannon?« »Ich muss Julian finden.«
»Aber in Wirklichkeit suchst du nicht Julian.«
»Doch, ich liebe meinen Mann.«
»Daran zweifle ich nicht ...« Plötzlich wurde Alaina blass und presste eine Hand auf ihren Magen. »Entschuldige mich!«, würgte sie hervor und floh in ihr Schlafzimmer.
Nach einer Weile kehrte sie zurück. Rhiannon hatte inzwischen ihre Reisetasche aus dem Schrank geholt. Lächelnd wandte sie sich zu ihrer Schwägerin. »Ein Weihnachtsgeschenk von Ian, nicht wahr?«
»Früher war mir nie so schrecklich übel.«
»Du hast ja auch noch nie Zwillinge erwartet.«
»Zwillinge ...« Kraftlos hielt sich Alaina am Türrahmen fest.
»Tut mir Leid.« Rhiannon lachte leise und begann, einige Kleidungsstücke in die Tasche zu legen. »So genau weiß ich's natürlich nicht.«
»Du versuchst doch nicht etwa, nach Richmond zu fahren?«
»Nein, ich will nur jemanden finden, der mühelos in die Stadt gelangen kann.«
»Oh, ich verstehe ... Komm, ich helfe dir packen.«
Unermüdlich unterstützte Tia die Bryers bei der Krankenpflege. Die meisten Verwundeten waren sehr tapfer und dankbar für jeden Schluck Wasser, den sie ihnen brachte, das Chinin, das sie ihnen verabreichte, die Verbände und Umschläge, die sie sorgsam wechselte.
Am Ende dieses langen Tages hängte sich Cecilia Bryer bei ihr ein und führte sie aus dem Lazarett. »Gehen wir in die Richtung des Flusses. Da ist es angenehm kühl und beschaulich. Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich in dieser unzivilisierten Gegend so wohl fühlen würde.«
»Woher stammen Sie?«
»Aus Massachusetts. Dort ist es sehr kalt.«
Freundlich nickten die Soldaten den beiden Frauen zu, die durch das Camp wanderten. Auf der anderen Seite des Zauns folgten sie einem ausgetretenen Pfad zu einem kleinen Teich, der von einer Quelle gespeist wurde. Nachdem sie ihre Gesichter erfrischt und getrunken hatten, setzten sie sich ans Ufer.
»Ich assistiere meinem Vater schon seit dem Beginn des Krieges«, erzählte Cecilia. »Was glauben Sie, wie oft ich mir von so genannten feinen Damen schon anhören musste, wie >unschicklich< ich mich verhalte! Für ein junges Mädchen gehört es sich einfach nicht, Soldaten anzufassen.«
»Und ich dachte, das würde man nur den Südstaatlerinnen verübeln.«
»In Washington geht's genauso zu. Als Dorothea Dix zur Vorsteherin der Krankenpflegerinnen ernannt wurde, waren ihr natürlich einige Frauen hoch willkommen. Aber mir erklärte sie, ich sei zu jung und zu hübsch, um in einem Lazarett zu arbeiten. Ihre Krankenschwestern müssten mindestens dreißig sein, möglichst unscheinbar, und sie dürften keine romantischen Flausen im Kopf haben.« Als Cecilia lächelte, bildeten sich bezaubernde Grübchen in ihren Wangen. »Also wandte ich mich an meinen Vater. Er beförderte mich sofort zu seiner Assistentin und betonte, niemand dürfe ihm vorschreiben, wen er in seinem Lazarett beschäftigen würde und wen nicht. Ich glaube, mittlerweile habe ich mich zu einer recht guten Pflegerin entwickelt.«
»Ohne jeden Zweifel«, stimmte Tia zu. »Auch ich arbeite seit dem Kriegsausbruch in einem Lazarett. Anfangs mussten mein Bruder Julian und ich nur nach kleineren Scharmützeln die Verwundeten
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