Sieg der Liebe
befleckt.
Wie betäubt blickte Jerusa auf Michel: seinen Rücken, die breiten Schultern, die schmale Taille, das blonde Haar, das im
Mondlicht schimmerte. Plötzlich hatte sie eine Idee. Rasch schaute sie zurück über ihre Schulter in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und aufgeregt wickelte sie die Zügel um ihre Finger. Sie könnte es tun. Er hatte sie nicht gefesselt oder am Sattel festgebunden. Sie mußte nur die günstigste Gelegenheit ergreifen, das war alles.
Jerusa hatte keine Wahl. Denn würde sie ihm nicht entkommen, würde sie mit ihrer Freiheit auch ihre Seele verlieren.
Aber sie war so schrecklich müde ...
„Wir werden hier erst einmal Rast machen“, sagte Michel und schwang sich behende aus dem Sattel. Sie befanden sich in einem Pappelhain, der im Schutze einer felsigen Hügelkette lag, und der Fluß, der von Schilf gesäumt war, bot frisches Wasser. „Ich glaube nicht, daß wir etwas Besseres finden, und außerdem ist es schon beinahe Morgen.“
Sie war eingeschlafen, ehe er die Pferde versorgt hatte. Seitlich zusammengerollt lag sie da, die Decke wie einen wollenen Kokon eng um sich gezogen. So schlafend, mit entspannten Gesichtszügen und dem geflochtenen Zopf, sah sie sehr verletzlich aus. Lange lag Michel neben ihr und betrachtete sie. Wie kann ein Mann ohne Gewissen sich so schuldig fühlen? fragte er sich.
Er war nicht sicher, wann er eingeschlafen war, aber er konnte genau sagen, wann er aufwachte. Der kalte Stahl eines Gewehrlaufs an seiner Schläfe ließ ihn hochschrecken.
„Erhebe dich, Schurke“, sagte die Stimme. „Erhebe dich, sage ich, oder ich erschieße dich auf der Stelle.“
5. KAPITEL
Jerusa öffnete die Augen beim Klang der Stimme des fremden Mannes. Diesmal war sie sofort hellwach. Sie befreite sich von der Decke und richtete sich im feuchten Gras auf.
Ein einfach gekleideter Mann mit einer Truthahnfeder an der Hutkrempe hielt eine Muskete auf Michel gerichtet. Der stumpfe Lauf berührte immer noch seine Schläfe. Das war ihre Chance, die Gelegenheit, um die sie vor dem Einschlafen gebetet hatte. Hastig stand sie auf und strich sich den Rock glatt.
„Nicht so schnell, kleines Frauenzimmer“, sagte eine Stimme hinter ihr. Sie fuhr herum und sah einen weiteren, jüngeren Mann, der seine Muskete auf sie gerichtet hatte. „Du glaubst doch nicht, daß wir den Hahn nehmen und die Henne fliegen lassen, oder?“
„Aber Sie verstehen nicht“, sagte sie und bedachte ihn mit ihrem gewinnendsten Lächeln, während sie versuchte, ihr zerzaustes Haar zu ordnen. „Sie haben mir einen Gefallen getan. Sie haben mich gerettet, wissen Sie. Ich will überhaupt nicht bei diesem Mann sein. “
Der erste Mann brach in brüllendes Gelächter aus, und sie drehte sich um und lächelte auch ihn an. Offensichtlich war er der Vater des jüngeren Mannes, denn beide hatten das gleiche widerspenstige rote Haar und die gleichen hellen Augenbrauen. Schafzüchter, dachte Jerusa. Sowohl die Kleidung als auch das Land, das nicht fruchtbar genug war, um bebaut zu werden, deuteten darauf hin. Sie fragte sich, ob sie wohl Wolle oder Hammelfleisch zum Export an ihren Vater verkauften. Vielleicht würde sein Name sie beeindrucken. Ihr Lächeln allein tat es jedenfalls nicht.
„Sie haben es sich aber ziemlich gemütlich gemacht, dafür, daß Sie nicht mit dem Mann Zusammensein wollen“, sagte der Vater, „so, wie sie da nebeneinanderlagen.“
„Nicht freiwillig, das versichere ich Ihnen!“
„Freiwillig oder nicht, ich weiß, was ich gesehen habe“, entgegnete er und warf ihr einen verschlagenen Blick zu. „Und da gab es nicht viel mißzuverstehen.“
Michel seufzte. Langsam setzte er sich auf, darauf bedacht, den Mann mit der schußbereiten Muskete nicht zu erschrecken. „Ist es in dieser Gegend üblich, Reisende mit dem Gewehr zu begrüßen?“
„Ich mache was ich will mit Leuten, die mein Land durchqueren“, erwiderte der ältere Mann, ohne zu zögern. „Vor allem mit denen, die dabei auch noch selbst bewaffnet sind.“
„Ah, meine Pistole.“ Michel warf einen bedauernden Blick auf die Waffe, die neben ihm auf der Decke lag, beinahe so, als sähe er sie zum erstenmal. „Seit wann ist es einem Mann nicht mehr erlaubt, sich und seine Frau auf der Landstraße zu schützen?“
„Ihre Frau?“ Jerusa sah Michel fassungslos an. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich nicht so nennen würden.“
„Hüten Sie Ihre Zunge, Mistress, und überlassen Sie Ihrem Mann das
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