Sieg der Liebe
zurücksinken, ehe er bemerkte, daß sie ihn beobachtet hatte. Sie schloß die Augen und tat, als wäre sie noch schläfrig, aber noch immer sah sie ihn vor sich. Sie war diejenige gewesen, die sich ihm verweigert hatte, nicht umgekehrt, warum also schien er so viel besser damit fertig zu werden, daß sie ein so enges Quartier teilten? Nachts wachte sie mit rasendem Puls und wild klopfendem Herzen aus Träumen auf, die mit den Erinnerungen an das zu tun hatten, was sie in jener ersten Nacht getan hatten, in genau dieser Koje.
Plötzlich wurde Jerusa traurig. Sie liebte Michel. Und diese Seereise hatte sie noch enger zusammengebracht. Egal, wie tief er für sie empfinden mochte, er hatte mit schmerzlicher Deutlichkeit gesagt, daß Liebe nicht dazugehörte. Jerusa dachte wieder an die Miniatur, die sie in seiner Satteltasche gefunden hatte, und fragte sich bekümmert, ob sein Herz schon der schwarzhaarigen Französin gehörte.
Die Augen immer noch geschlossen, hörte Jerusa zu, wie Michel sich rasierte. Das leise Plätschern, wenn er das Messer in den Becher mit Meerwasser tauchte, das Schaben, wenn er mit der Klinge über die Wange strich. Der einzige Mann, dem sie bisher beim Rasieren zugesehen hatte, war ihr Vater, und sie ballte die Hände unter der Bettdecke zu Fäusten, als sie daran dachte, was passieren würde, wenn diese Männer, die sie beide liebte, sich endlich begegneten.
Keiner von ihnen durfte sterben. Sie wollte nicht einmal, daß sie kämpften. Sollte sie Michels Mutter auf Martinique bitten, einzugreifen, damit das Schlimmste verhindert wurde? Michel sprach zwar nur selten von ihr, aber gewiß würde sie nicht wollen, daß ihr einziger Sohn eine so schwere Sünde beging. Bestimmt würde Michels Mutter um des Mannes willen, den sie einst geliebt hatte, ihr helfen, diese Fehde zu beenden, ehe sie noch Menschenleben forderte.
„Kommst du mit mir nach oben, ma mie? Michel hatte sich das Haar zu einem Seemannszopf geflochten, und nun steckte er sich das Hemd etwas ordentlicher in die Hose, ehe er in den Mantel schlüpfte. „Vielleicht bist du ein bißchen neugierig darauf, wen unser Kapitän diesmal an Bord gebracht hat. “
Jerusa öffnete die Augen. Sie war sich nicht sicher, ob die
Geräusche an Deck ihr gefielen. Das Gekreische machte ihr jedoch klar, daß sie heute morgen keinen Schlaf mehr finden würde.
Rasch frisierte sie sich und wagte es, Schuhe und Strümpfe unter Deck zu lassen. Dann folgte sie Michel nach oben. In der gleißenden Helligkeit mußte sie blinzeln, und sie beschattete die Augen mit dem Handrücken.
Die glatten, abgenutzten Planken fühlten sich warm unter ihren bloßen Füßen an, und obwohl der Wind die Segel der Brigg blähte, schwitzte Jerusa unter ihrer damenhaften Kleidung. Kein Wunder, daß die Männer, die in der Takelage arbeiteten, sich bis auf die baumwollenen Hosen ausgezogen hatten und Hüte trugen, um ihre Gesichter vor der Sonne zu schützen.
„Ahoi, Mr. und Mrs. Geary! Sie kommen gerade rechtzeitig, um mir eine Frage zu beantworten! “ Captain Barker winkte ihnen von dem Einstieg an Backbord aus zu. Hinter ihm war der Mast eines kleinen Bootes gerade noch zu erkennen, das längsseits der Swan schaukelte.
„Sehen Sie her“, sagte Barker, als sie sich zu ihm und dem Koch gesellten. „Ich muß entscheiden, was ich diesem Mann zum Frühstück abkaufe. Wenn Sie auf dem Markt wären, Mrs. Geary, was würde Ihnen gefallen?“
Jerusa spähte über die Bordwand der Swan zu dem Fischerboot hinab. Sein Besitzer, ein dunkelhäutiger Mann in weißer Hose und einer offenen roten Weste, wartete geduldig darauf, daß der Engländer seine Entscheidung traf, während der stolze Fang auf dem Deck ausgebreitet wurde. Von einer Halterung am Mast hing ein großer Käfig mit farbenprächtigen kleinen Vögeln herab - scharlachrot, gelb, smaragdgrün und türkis -, und ihr Gekreisch, Pfeifen und Zwitschern hatten Michel und Jerusa in ihrer Kabine gehört.
„Ich kann es wirklich nicht sagen, Captain“, meinte Jerusa. „Nicht einen dieser Fische kenne ich aus meiner Heimat.“
Der dunkelhäutige Mann deutete auf den Vogelkäfig und sagte etwas zu Jerusa in einer Sprache, die eine Mischung aus Französisch und Spanisch war.
„Er hofft, die hübsche englische Lady wird einen von seinen schönen Vögeln kaufen“, erklärte Michel, der neben ihr stand. „Alle Ladys mögen sie, meint er. Aber ich kann es nicht empfehlen, ma cherie. Wenn sie nicht mehr bei ihren
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