Sieg der Liebe
wäre das Schlimmste, was er ihnen beiden antun könnte.
Und sie wußte es auch. Seit jener ersten Nacht an Bord der Brigg war sie genauso vorsichtig wie er. Es hatte keine Küsse mehr gegeben, keine Umarmungen. Sie schliefen in ihrer Klei-dung, so, wie sie es während des Ritts getan hatten, und sie entschuldigten sich umständlich und sehr verlegen, wenn einer von ihnen sich umziehen und in der Kabine allein sein wollte.
Aber dies war nicht die einzige Maßnahme, die sie stillschweigend getroffen hatten. Seit jener ersten Nacht hatte keiner von ihnen mehr von seiner Familie oder seinem Vater gesprochen, ebensowenig über die Umstände, die sie zusammen auf die Swan geführt hatten.
Und kein einziges Mal hatte sie ihm seitdem gesagt, daß sie ihn liebte. Es überraschte ihn nicht. Welche anständige Frau würde einem Mann ihre Liebe erklären, der geschworen hatte, ihren Vater zu töten? Aber Michel empfand ein größeres Bedauern, eine tiefere Sehnsucht, als er jemals zugeben würde, vor allem nicht gegenüber Jerusa. Nein, er konnte ihr keinen Vorwurf machen. Aber was hätte sie gesagt, wenn er ihr gestanden hätte, daß auch er sie liebte?
Inzwischen war ihm klargeworden, daß sie Angst gehabt hatte, ein Kind zu empfangen, als sie ihn aufforderte aufzuhören. Er liebte Jerusa mehr, als er es in seinen kühnsten Träumen für möglich gehalten hätte. Aber weil er sie liebte, wollte er sie nicht zu demselben Elend verdammen, wie sein Vater es mit seiner Mutter getan hatte.
Was würde passieren, wenn Gabriel Sparhawk vor ihnen in Martinique eintreff en würde? Und wie würde seine Mutter auf Jerusa reagieren?
Geschickt zog Michel das weiche Putztuch mit dem Kolophonium durch den Pistolenlauf. In der feuchten Seeluft reinigte er seine Waffen täglich. Noch eine Vorsichtsmaßnahme, aber diese richtete sich gegen George Hay. Der Maat hatte nichts mehr über Jerusas Identität gesagt, dennoch war Michel vorsichtig. Selbst wenn Michel bei ihr war, ließ Hay sie selten aus den Augen. Und ob der Mann an ihr nur wegen der Belohnung interessiert war, die ihr Vater ausgesetzt hatte, oder auch wegen ihrer Schönheit, Michel wollte kein Risiko eingehen.
Wo immer er sich auf der kleinen Brigg auch aufhielt, stets trug er eine der Pistolen unter seinem Mantel, und auch sein langes Messer steckte in Reichweite hinten in seinem Gürtel. Wenn George Hay Glück hatte, würde er nie erfahren, wie weit
Mr. Geary zu gehen bereit war, um die Tugend seiner hübschen Frau zu verteidigen.
Michel hörte, wie der Befehl zum Streichen der Segel gegeben wurde, und fluchend schob er das Putztuch zurück in die Tasche und säuberte seine Hände. Für ein Schiff, das so schnell und so gut geführt war wie die Swan, kamen sie nur sehr langsam voran.
Der Kapitän war der geselligste alte Mann, den Michel jemals getroffen hatte. Barker nahm mit jedem Schiff Kontakt auf, das er entdeckte, manchmal änderte er sogar den Kurs, und bei jeder Einladung ließ er das Beiboot zu Wasser, um irgendwelche Besuche zu machen.
Jerusa drehte sich langsam um und fragte schlaftrunken: „Warum halten wir jetzt an, mitten in der Nacht?“
„Es ist acht Uhr, cherie. Die Sonne ist schon lange aufgegan-gen.“ Obwohl er nicht das Bett mit Jerusa teilte, sah Michel gern zu, wenn sie morgens erwachte. Ihr Gesicht war dann rund und rosig und ihr Blick verschleiert. „Wenn wir Glück haben, hat unser lieber Kapitän jemand gefunden, der uns beim Frühstück Gesellschaft leistet.“
Jerusa stöhnte und stützte sich auf einen Ellenbogen. Sie war noch nie eine Frühaufsteherin gewesen, und Michel konnte morgens so entsetzlich munter sein. „Nichts könnte schlimmer sein als die Gesellschaft des Kapitäns, der vor zwei Tagen zum Abendessen da war. Ich habe noch nie einen Mann getroffen, der so viel redete und so schlecht roch.“
Michel lachte nur.
Und Jerusa ließ sich in das Kissen zurücksinken. Sie beobachtete, wie er sich geschmeidig aus der Hängematte schwang. Die langen Ärmel hatte er hoch über seine muskulösen Arme aufgerollt, damit das Leinen nicht schmutzig wurde, während er sich mit seinen Waffen beschäftigte. Er bückte sich, um seine Seekiste unter der Koje hervorzuziehen und die Putztücher zurückzulegen.
Möglichst unauffällig hob Jerusa den Kopf und beugte sich vor, um besser sehen zu können, wie das Hemd sich über Michels Rücken zog und die Hose sich spannte.
Er drückte den Deckel der Kiste zu, und rasch ließ Jerusa sich wieder
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