Sieg einer großen Liebe
hat, dachte Victoria.
Sehnsüchtig erinnerte sie sich an die Familien in Portage. Sie sah den alten Mr. Prowther vor sich, wie er im Sommer auf der Veranda saß und seiner gelähmten Frau vorlas. Dann fielen ihr die Gesichter von Mr. und Mrs. Textor ein, als Dr. Seaton, Victorias Vater, ihnen nach zwanzig Jahren kinderloser Ehe mitteilte, daß sie Nachwuchs erwarteten. Die beiden hatten sich aneinandergeklammert und vor Freude geweint. Das waren Verbindungen, wie sie sein sollten: zwei Menschen, die miteinander lachten und weinten, arbeiteten und Kinder aufzogen, die sich in guten und schlechten Zeiten beistanden.
Victoria dachte an ihre eigenen Eltern. Obwohl Katherine Seaton ihren Gatten nicht liebte, hatte sie ihm doch ein gemütliches Zuhause bereitet und ihm geholfen wo es ging. Sie hatten im Winter vor dem Feuer Schach gespielt und waren in der sommerlichen Abenddämmerung spazierengegangen.
In London war Victoria nur begehrt, weil sie im Augenblick „in Mode“ war. Als Gemahlin wäre es ihre einzige Aufgabe, das andere Ende der Tafel zu zieren, wenn Gäste zum Essen erwartet wurden. Damit würde sie nie zufrieden sein. Sie wollte ihr Leben mit jemandem teilen, der sie brauchte, den sie glücklich machen konnte und für den sie wichtig war. Dem Marquis de Salle bedeutete sie etwas, das spürte sie. Doch er liebte sie nicht, auch wenn er es behauptete. Auch Andrew hatte sie nicht geliebt. Vor Schmerz über seine Treuelosigkeit biss sich Victoria auf die Lippen. Vielleicht waren reiche Männer unfähig zur Liebe.
Plötzlich saß Victoria aufrecht im Bett. Draußen im Gang hörte sie schwere schleppende Tritte. Es war zu früh, als daß es ein Diener hätte sein können. Etwas stieß gegen die Mauer, und ein Mann stöhnte. Onkel Charles muss krank sein! dachte sie, schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Sie stürzte zur Tür und riss sie auf.
„Jason!" rief sie bestürzt, als sie ihn sah. Er sackte an der Wand zusammen, und sein Arm lag in einer behelfsmäßigen Schlinge. „Was ist geschehen?“ flüsterte sie, dann verbesserte sie sich rasch. „Du brauchst nicht zu sprechen. Ich werde einen Diener holen, damit er dir hilft.“ Sie wandte sich ab, doch Jason hielt sie zurück.
„Ich möchte, daß du mir hilfst“, sagte er und legte ihr den Arm über die Schulter, so daß Victoria fast unter seinem Gewicht zusammenbrach. „Bring mich in mein Schlafzimmer“, bat er.
„Wo ist es?“ flüsterte Victoria, als sie mühsam den Korridor entlanggingen.
„Weißt du das nicht?“ fragte er spöttisch. „Ich weiß, wo deins ist.“
„Was macht das schon?“ erwiderte Victoria ein bisschen verlegen und suchte sein Gewicht zu verlagern.
„Nichts“, stimmte er zu und blieb vor einer Tür stehen. Victoria öffnete sie und half ihm ins Zimmer.
Auf der anderen Seite des Gangs ging eine Tür auf. Charles Fielding stand auf der Schwelle, und schlüpfte hastig in seinen Morgenrock. Er hielt mitten in der Bewegung inne, als er Jason sagen hörte: „Jetzt, meine kleine Gräfin, bring mich zu meinem Bett.“
Victoria fiel auf, wie eigenartig Jason die Worte dehnte. Flirtete er etwa mit ihr, oder war seine seltsame Sprache den Schmerzen und einem möglichen Blutverlust zuzuschreiben?
Als sie sein großes Himmelbett erreichten, zog er seinen Arm zurück und wartete ergeben, bis Victoria die Decken aufgeschlagen hatte. Dann setzte er sich und blickte sie an.
Victoria verbarg ihre Unruhe. „Kannst du mir sagen, was dir zugestoßen ist?“ fragte sie in dem freundlichsachlichen Tonfall, wie sie es von ihrem Vater gelernt hatte.
„Natürlich" antwortete er. „Aber hilf mir erst, die Stiefel auszuziehen.“
Victoria zögerte. „Ich denke, ich sollte Northrup rufen.“
„Dann vergiss es“, meinte er großzügig und ließ sich mitsamt den Schuhen auf die seidene Bettwäsche fallen. „Setz dich neben mich und halte meine Hand.“
„Sei nicht albern! “
Beleidigt sah er sie an. „Du solltest netter zu mir sein, Victoria. Schließlich wurde ich in einem Duell um deine Ehre verwundet.“ Er griff nach ihrer Hand.
Victoria erschrak. Sie gab dem wachsenden Druck seiner Finger nach und setzte sich neben ihn auf den Bettrand. „Du meine Güt.... ein Duell! Jason, weshalb?“ Beim Anblick seines gequälten Lächelns schmolz sie dahin. „Bitte sag mir, weshalb du dich geschlagen hast“, bat sie.
„Weil Wiltshire dich einen englischen Bauemlümmel nannte.“
„Wie bitte? Jason“, erkundigte
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