Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition)
und ich war gut im Spurensuchen. Nicht einmal in der weichen Erde vor den Büschen, in denen er verschwunden war.
Auf meinen Armen bildete sich Gänsehaut, obwohl es immer noch heiß war.
»Also glaubst du nicht, dass es ein Geist war?«, fragte Adam, bevor er von seinem Hot Dog abbiss.
Der Trailer hatte Herdplatten und einen Ofen, aber direkt neben unserem Standplatz gab es eine Feuerstelle und einen Grill. Wir hatten beschlossen, uns zum Abendessen Hot Dogs über dem Feuer zu rösten. Adam war bis Sonnenuntergang gelaufen, dann war er kurz vorbeigekommen, hatte mir einen verschwitzten Kuss auf die Wange gedrückt, sich saubere Kleidung und ein Handtuch geschnappt und war Richtung Duschen verschwunden.
Als er zurückkam, hatte ich bereits das Feuer angezündet und das Essen war fertig vorbereitet.
Hinten am Trailer waren Campingstühle festgebunden, aber trotzdem setzten wir uns nebeneinander auf den Boden. Solange ich verdrängte, dass wir neben einem kolossalen Wohnwagen und auf gepflegtem Gras saßen, konnte ich vorgeben, dass wir wirklich campten. Irgendwie hatten wir so nur die Vorteile von Camping, ohne irgendwelche Nachteile. Ich könnte mich daran gewöhnen.
»Uhm«, antwortete ich, dann schluckte ich, um reden zu können. »Das habe ich so nicht gesagt – mein Vater ist schließlich tot. Wenn es mein Vater war, dann war es
ein Geist. Aber vielleicht war es auch etwas anderes. Es gibt Geschichten von übernatürlichen indianischen Wesen, aber ein großer Teil des alten Wissens ist verlorengegangen, als die Regierung versucht hat, die Stämme in die amerikanisch-europäische Kultur zu assimilieren. Ein Großteil dessen, was man weiß, wurde einfach erfunden – niemand erzählt Geschichten wie ein Indianer – und niemand weiß mehr sicher, welches die wirklich alten Geschichten sind und welche erfunden wurden.«
Charles, Brans halbindianischer Sohn, der irgendwann Anfang des neunzehnten Jahrhunderts geboren worden war, hätte vielleicht etwas Licht in die Sache bringen können – aber zu meinem großen Ärger sprach er selten über seine indianischen Wurzeln. Vielleicht hätte ich ihn drängen können, aber Charles gehört zu den wenigen Leuten, die mir wirklich Angst machen. Also war ich selbst zu der Zeit, als ich mich auf die Suche nach dieser Hälfte meiner Geschichte gemacht hatte, nie zu sehr in ihn gedrungen, sosehr ich es auch gewollt hatte.
»Du glaubst, es könnte ein ortsansässiges Wesen gewesen sein, dass deinen Vater imitiert hat?«
Er hatte seinen Hot Dog aufgegessen und war dabei, den nächsten zu rösten. Er mochte sie außen verbrannt – ich mochte meine grade mal heiß.
Ich beobachtete das Würstchen über dem Feuer und versuchte so zu tun, als könnte ich das glauben. »Vielleicht. Vielleicht ist es eine Art seltsamer Doppelgänger, der in der Gestalt anderer Leute erscheint, oder ein rückwärtsgerichteter Vorgänger – eine Art Omen, das erscheint, nachdem ein Mann gestorben ist statt drei Tage vorher.«
Adam legte den Kopf schräg, dann schüttelte er ihn. »Wenn du wirklich glauben würdest, dass es ein einheimisches Wesen war, hättest du schon Charles angerufen.«
Adam hatte Recht. Sollte Charles denken, ich steckte wirklich in Schwierigkeiten, würde er mir auf jede mögliche Art helfen. Er war vielleicht furchterregend, aber trotzdem gehörte er zur Familie. Irgendwie.
Adam warf mir einen durchtriebenen Blick zu. »Dir gefällt einfach nur die Vorstellung nicht, dass dein Vater dich besucht hat und du nicht weißt, warum.«
Und warum Joe Old Coyote mir nicht früher erschienen war.
Verdammt, tadelte ich mich selbst. Ich wusste es besser. Ein Geist war keine Person; er bestand nur aus Überresten. Dieser Geist mochte der Geist meines Vaters sein, aber er war nicht mein Vater.
Er war vor meiner Geburt gestorben. Aber ich hatte nicht gelitten. Ich war von Bryan und Evelyn, meinen Pflegeeltern, aufgezogen worden und sie hatten mich geliebt. Als sie gestorben waren, waren Bran und der Rest des Rudels eingesprungen – und dann meine Mutter. Ich hatte mich nie ungeliebt gefühlt, war nie misshandelt worden. Ich war erwachsen – warum also sorgte der Anblick eines Geistes, der aussah wie mein Vater, dafür, dass ich mich so verletzlich fühlte?
»Okay«, sagte ich. »Jau. Du hast Recht. Wenn er jederzeit erscheinen konnte, warum hat er es nicht getan? Warum jetzt, wenn ich ihn nicht brauche?« Ich hätte lieber geglaubt, dass es nicht mein Vater war.
Adam
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