Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition)
in mir auf: Steinmesser waren oft schärfer, dabei aber zerbrechlicher als die meisten Stahlmesser. Für mich war viel wichtiger, dass Gordon aussah, als wüsste er, was er tat.
»Schon viele Kugeln entfernt?«, fragte ich, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Ich wühlte in den Erste-Hilfe-Paketen, bis ich in dem chirurgischen Besteck eine lange Pinzette, einen Wundhaken und Tupfer gefunden hatte.
Er warf einen kurzen Blick darauf, als ich sie hochhielt. »Gewöhnlich mache ich das mit den Fingern«, erklärte er mir.
Infektion war kein Thema für Werwölfe – und für Gordon anscheinend auch nicht.
»Eine Pinzette und ein Wundhaken richten weniger Schaden an, wenn du tief graben musst«, erklärte ich ihm bestimmt. »Ich kann es auch machen, wenn du nicht willst.«
Bis jetzt hatte ich es immer vermieden, Kugeln aus Körpern zu entfernen, und ich bildete mir nicht ein, ich wäre gut darin. Aber ich mit einer Pinzette wäre immer noch besser als Gordons Finger.
Er schenkte mir ein zahnlückiges Lächeln und nahm den Wundhaken.
»An einem Werwolf musst du schnell arbeiten«, erklärte ich ihm.
»Heilt ziemlich schnell«, grunzte er, während er das Instrument in die Wunde schob, die er mit seinem seltsamen
kleinen Messer wieder geöffnet hatte. »Gute Nachricht, denke ich, solange wir die Kugel rausbekommen.«
»Bei dominanten Werwölfen ist das so«, sagte ich. »Und viel dominanter werden sie nicht mehr.« Gott sei Dank. Trotz seiner vorherigen Aussage sah er aus, als wüsste er, was er tat. »Du hast schon mal einen Wundhaken benutzt.«
Er wechselte die Hände, hielt den Haken mit der linken und nahm mit der rechten die Pinzette. »Nur ungefähr hundertmal«, sagte er und schloss die Augen. »Ich habe sie. Sie liegt an seinem Schulterblatt.«
Eine Silberkugel verformt sich nicht wie eine Bleikugel. Wenn sie Adam ganz durchschlagen hätte, wäre auf der einen Seite ein schönes Einschussloch und auf der anderen eine saubere Austrittswunde zu sehen gewesen. Die Kugel, die Gordon aus Adam herauszog, war nicht nur verformt, sondern ohne Zweifel auch noch ein wenig in ihm hin und her geschossen, um Muskeln und Organe zu zerreißen. Schmerzhafter, aber um einiges weniger tödlich.
Sobald Gordon die Hand herausgezogen hatte, trocknete ich mir die Handflächen an meiner Jeans ab und zog mein Handy hervor, um Samuel anzurufen.
»Wen rufst du an?«
»Einen befreundeten Arzt«, sagte ich. »Mein Freund, und auch seiner.«
Eine Hand legte sich um das Handy und Adam sagte rau: »Nicht. Nicht, bis wir wissen, was los ist.« Er setzte sich auf, benutzte dafür aber seine Bauchmuskulatur und nicht seine Arme. Er tat es nicht, um etwas zu beweisen – seine Schulter zu bewegen war für eine Weile einfach noch zu schmerzhaft.
Er sah Gordon an. »Danke für die OP. Fühlte sich an wie die schnellste Entfernung, die ich je hatte.«
Gordon zog die Augenbrauen hoch. »Sagst du so etwas öfter? Falls ja, würde ich zu einem anderen Lebensstil raten.«
Adam lächelte, um Gordons Punkt anzuerkennen, wandte sich dann aber schon einem anderen Thema zu: »Du hast letzte Nacht etwas über das Siegel des Flusses gesagt – und dass Mercy keinen guten Sklaven abgeben würde. Was ist so besonders an diesem Siegel? Hat der Flussteufel es gemacht?«
Er hatte Schmerzen; ich konnte genau spüren, wie heftig sie waren. Aber das würde er der Öffentlichkeit nicht zeigen.
»Siegel des Flusses«, sagte Gordon. Er sah zu Fred, der gerade Hanks Hinterkopf untersuchte. »Ich verstehe, warum du fragst. Es gab einst einen Ort, an dem eine Gruppe von Indianern lebte. ›Geht nicht in dieses Dorf; der Fluss hat ihnen sein Siegel aufgedrückt‹, sagten die Leute. ›Wenn du dort hingehst, wirst du nicht zurückkehren. Sie werden dich an den Fluss verfüttern.‹ Alle Leute in diesem Dorf trugen ein braunes Mal an ihrem Körper und sie gehorchten dem hungrigen Fluss in jeder Hinsicht. Den Rest der Geschichte habe ich vergessen.«
»Sucht Hank ab«, sagte Adam. Seine Stimme klang ein wenig atemloser als sonst. »Er schien mir nicht der Typ zu sein, der zuerst schießt und hinterher verhandelt. Selbst diese verrückten Marines brauchen gewöhnlich einen Grund, um abzudrücken.«
Fred protestierte nicht gegen den Seitenhieb, sondern zog Hank einfach nur die Jeans und das Hemd aus – und
fand eine dunkelbraune, feuchte Verletzung auf Hanks Rücken, die gespenstisch meiner Wunde ähnelte, bevor Gordon und seine Salbe des Weges gekommen
Weitere Kostenlose Bücher