Sigma Force 05 - Das Messias-Gen
Saturn einläutete. Das durch den Tunnel einströmende radioaktive Seewasser würde das strahlungssensitive Präparat im Kreislauf
der Kinder in ein Nervengift umwandeln, das sie auf der Stelle töten würde.
Sie hatten auch daran gedacht, die Kinder mit einer Spritze zu euthanasieren, doch ein solch intimer Akt stellte eine Überforderung der Betreuer dar, auch wenn sie es noch so gut verstanden, professionelle Distanz zu wahren. Außerdem hätten sie die toten Kinder anschließend verladen und ins Zentrum der Operation Saturn schaffen müssen. Geplant war, dass die während des Abfließens des Sees wochenlang anhaltende Strahlung die Leichen verbrennen und die DNA so weit denaturieren würde, dass niemand sie mehr identifizieren könnte - falls sich überhaupt jemals jemand in die Nähe der Leichen wagen sollte.
Der Plan, für den sie sich dann entschieden hatten, wurde als effizient und weniger grausam betrachtet, außerdem ermöglichte er den Kindern, noch einmal ein bisschen ausgelassen zu sein.
Gleichwohl hatte Sawina die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Die Knöchel traten weiß hervor, denn sie musste sich beherrschen, um die Kinder nicht vom Zug wegzuzerren.
Wenigstens hatte sie zehn von ihnen gerettet.
Damit musste sie sich trösten.
Mit den zehn besten.
Die Kinder hielten sich in dem Wohnblock auf, in dem auch die Kontrollstation der Operation Saturn untergebracht war. Wenn sie fertig wären, würde man die zehn Omega-Objekte in eine neu gebaute Einrichtung in Moskau verlegen. Es war an der Zeit, das Projekt aus der Dunkelheit ans Licht zu bringen.
Das sollte ihr Vermächtnis sein.
Doch ein solcher Aufstieg hatte auch seinen Preis.
Munteres Gelächter und fröhliche Rufe schallten von den letzten Kindern in der Reihe herüber. Sie stritten sich darüber,
wer in den offenen Güterwagen und wer im vorderen oder hinteren Zugabteil fahren sollte. Nur die älteren Kinder wunderten sich, dass sie nicht von Erwachsenen begleitet werden sollten, doch auch sie wirkten eher aufgeregt als beunruhigt.
Als die letzten Kinder eingestiegen waren, zischte der Zug, die hydraulischen Bremsen seufzten, dann rollte er mit einem elektrischen Knistern in den Tunnel. Gelächter und muntere Rufe schallten herüber. Dann versiegelte die Schutztür die Tunnelmündung, und das Gejohle verstummte.
Die vier Lehrer entfernten sich. Niemand sprach. Jeder blieb für sich. Abgesehen von einer Frau mit ausladenden Hüften und einer Schürze, die ihr bis zu den Knöcheln reichte. Im Vorbeigehen hob sie die Hand und wollte Sawina tröstend berühren, doch dann besann sie sich und ließ die Hand wieder sinken.
»Sie hätten nicht herzukommen brauchen«, murmelte die Frau.
Sawina wandte sich wortlos ab, denn sie wollte nicht, dass man ihr ihre Rührung anmerkte.
Doch … Doch, ich musste.
11:16 Prypjat, Ukraine
GRAY SASS AUF dem Rücksitz der Limousine. Rosauro steuerte, Luca hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Bei ihrer Flucht aus der Stadt rasten sie am ersten Kontrollposten vorbei. Die Sperrzone von Tschernobyl erstreckte sich im Dreißigkilometerradius rund um den Kraftwerkskomplex. Es gab zwei Kontrollposten, einen im Zehnkilometerabstand und einen an der Außengrenze.
Gray wollte das zweite Tor hinter sich lassen, bevor jemand merkte, dass mit dem Reaktor etwas nicht stimmte. Es würde nicht lange dauern, bis man die Leichen entdecken und alles absperren würde.
Als Gray und Kowalski vom Ort der Feierlichkeiten zurück nach Prypjat geflüchtet waren, hatte Gray mit einem Walkie-Talkie, das Masterson ihm gegeben hatte, Rosauro angefunkt. Sie hatte gemeldet, dass es ihr bislang nicht gelungen sei, die Kommandozentrale von Sigma zu erreichen. Er hatte sie gebeten, es weiter zu versuchen. Als Gray im Hotel ankam, konnten sie endlich mit Washington Kontakt aufnehmen. Rosauro hatte eine der Limousinen requiriert. Außerdem hatte sie das Handy des Fahrers mitgehen lassen.
Gray umklammerte das Handy und wartete auf einen Anruf von Direktor Crowe. Painter hatte in Washington alle Hände voll zu tun, aber zumindest war Mapplethorpe inzwischen ausgeschaltet, und Sascha befand sich in Sicherheit.
Gray teilte sich den Rücksitz mit Elizabeth und Kowalski. Sein Teamkollege hatte die Brust freigemacht, damit Elizabeth die Schussverletzung an seiner Schulter behandeln konnte.
»Hören Sie auf herumzuzappeln!«
»Aber das tut scheißweh.«
»Das ist bloß das Jod.«
»Aber es brennt trotzdem wie ein beschissener
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