Sigma Force 05 - Das Messias-Gen
rechnen wie Konstantin, konnte keine Rätsel lösen wie Kiska und auch nicht so weit sehen wie seine Schwester. Aber Pjotr wusste, dass er etwas so gut konnte wie keiner sonst.
Er konnte in andere Herzen blicken … in alle möglichen Herzen.
In große und kleine.
Und etwas näherte sich, etwas mit einem dunklen, hungrigen Herzen.
Während sein kleines Herz hämmerte, hielt Pjotr Ausschau im fallenden Laub. Nach und nach füllte er die Zwischenräume aus.
Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Es gab nur noch die fallenden Blätter und die dunklen Zwischenräume, wirbelnd und wogend. Von Ferne hörte er, wie Konstantin seinen Namen rief.
Marta schlang die Arme fester um ihn - nicht um ihn vor den anderen zu beschützen, sondern um ihm Sicherheit zu vermitteln. Auch sie konnte ihm ins Herz blicken.
Er musste es erkennen.
Er musste es wissen.
Irgendetwas näherte sich.
Er füllte die Zwischenräume mit Tinte und Schatten aus, mit Zähnen und Knurren, mit dem Tappen von Tatzen auf hartem Boden. Dann sah er es.
ZWEI
8
6. September, 12:05 In vierzehn Kilometern Höhe über dem Kaspischen Meer
NOCH ZWEI STUNDEN bis zur Landung.
Gray schaute aus den Fenstern der Global Express XRS von Bombardier. Während der Privatjet über den Himmel raste, war die Sonne aufgegangen, in den Zenit gewandert und begann nun hinter ihnen wieder zu sinken. Sie flogen mit knapp Überschallgeschwindigkeit und würden mit dem letzten Tropfen Treibstoff landen. Den modifizierten Firmenjet hatte der Milliardär und Luftfahrtfinanzier Ryder Blunt Sigma zum Dank für erwiesene Dienste geschenkt. Zwei Piloten der US Air Force belasteten die Triebwerke bis ans Limit, um noch am Nachmittag Ortszeit in Indien zu landen.
Gray richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gruppe, die sich um einen Teakholztisch versammelt hatte. Er hatte die Leute sechs Stunden lang schlafen lassen, dennoch wirkten die meisten erschöpft. Kowalski hatte den Sitz in Liegeposition gestellt und verstärkte das Triebwerksgeräusch noch immer mit seinem Schnarchen. Gray sah keinen Grund, ihn zu stören. Sie konnten den Schlaf alle gut brauchen.
Die Person, die sich auf das vor ihr liegende Dossier konzentrierte und als Einzige keine Anzeichen von Müdigkeit
zeigte, war neu zu ihrer Gruppe hinzugestoßen. Da sie Expertin für Neurologie und Neurochemie war, die beiden Fachgebiete, auf denen Archibald Polk gearbeitet hatte, wunderte Painter sich nicht, dass sie ihnen von Sigma zugeteilt worden war.
Dr. Shay Rosauro war etwas größer als der Durchschnitt und hatte einen Mokkateint und goldgesprenkelte dunkelbraune Augen, aus denen eine wache Intelligenz hervorfunkelte. Das schulterlange schwarze Haar hatte sie sich mit einem schwarzen Band zurückgebunden. Sie hatte in der Air Force gedient, und ihrer Personalakte zufolge wäre sie imstande gewesen, die Bombardier-Maschine selbst zu fliegen. Sie trug sogar eine Uniformbluse, eine Khakihose mit breitem schwarzen Gürtel und Stiefel.
Gray hatte noch nie mit ihr zusammengearbeitet, doch Kowalski kannte sie anscheinend. Als der Hüne auftauchte, hatte sie große Augen gemacht. Kowalski hatte gegrinst und sie zur Begrüßung umarmt, dann war er ins Flugzeug gestiegen. Sie hatte Gray mit einem Ausdruck angeschaut, der so viel besagte wie: Das soll wohl ein Scherz sein.
Jetzt, da alle geruht hatten, wollte Gray sein Team bis zur Landung auch im Hinblick auf ihren ersten Gesprächspartner auf den neuesten Stand bringen. »Eigentlich kommt er aus Oxford. Er hat Psychologie und Physiologie studiert und sich auf Meditationstechniken und die Funktionsweise des Gehirns spezialisiert. Seit dreißig Jahren lebt er jetzt schon in Indien und studiert die Yogis und Mystiker.«
»Da gibt es Parallelen zur Forschungsarbeit Ihres Vaters.«
Elizabeth nickte.
»Ich kenne Mastersons Arbeiten«, sagte Rosauro mit einem Anflug von Überraschung. »Er ist brillant, aber exzentrisch, und einige seiner Theorien sind umstritten. Er war einer der ersten Forscher, welche die Ansicht vertreten haben,
das Gehirn sei formbar; damals führte das zu heftigen Kontroversen, doch heute ist es die vorherrschende Lehrmeinung.«
»Was genau meinen Sie mit ›formbar‹?«, fragte Gray.
»Nun, bis vor wenigen Jahren ging man in der Neurologie davon aus, das Gehirn sei fest verschaltet und jede Hirnregion habe nur eine bestimmte Funktion. Eine Region, eine Funktion. In den letzten zwei Jahrzehnten verfolgte die Neurologie das Ziel, die
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