Sigma Force 06 - Das Flammenzeichen
hatte.
»Marco ist tot?«, hatte Pater Rye gefragt. »Das kann ich
kaum glauben. Es ist erst ein paar Monate her, dass ich mit ihm gesprochen habe.«
Gray erhoffte sich vom Pfarrer nützliche Informationen.
Noch ehe sie am Eingang des Pfarrhauses angelangt waren, wurde die Tür geöffnet. Der Pfarrer war älter, als seine Stimme am Telefon hatte vermuten lassen. Er war stockdürr und bis auf ein paar weiße Haarsträhnen kahlköpfig. Mit einem viel zu großen Wollpullover bekleidet, kam er ihnen, auf einen knorrigen Stock gestützt, mit freundlichem Lächeln entgegen.
»Kommen Sie ins Warme, bevor Ihnen der Wind durch und durch geht.« Pfarrer Rye deutete mit seinem knochigen Arm ins Haus. »Ich habe Teewasser aufgesetzt, und die alte Maggie hat mir Preiselbeerkuchen gebracht. Der beste in ganz Wales.«
Er geleitete sie in einen Raum mit Dielenboden, dessen Deckenbalken so niedrig waren, dass Kowalski den Kopf einziehen musste. Die Wände waren aus dem gleichen Bruchstein wie die Kirche, und im kleinen Kamin brannte ein munteres Feuer. Der lange Tisch war mit Teegeschirr gedeckt.
Gray knurrte der Magen, als ihm der Duft des frisch gebackenen Kuchens in die Nase stieg, doch er wollte nicht lange bleiben. Der Zeitdruck saß ihm im Nacken. Er sah Rachel an. Der alte Priester hatte bereits Gefallen an ihr gefunden und geleitete sie an der Hand zum Tisch.
»Bitte nehmen Sie Platz. An meiner Seite.«
Pfarrer Rye schlurfte ein wenig. Wallace war mit Rufus bei der Eingangstür stehen geblieben; offenbar zögerte er, seinen Hund draußen in der Kälte zu lassen.
»Worauf warten Sie noch?«, meinte der Pfarrer tadelnd. »Immer hereinspaziert in die gute Stube.«
Die Aufforderung galt beiden. Der Terrier war schon drinnen, noch ehe Wallace den ersten Schritt getan hatte. Seufzend legte er sich am Kamin nieder.
Als alle Platz genommen hatten, eröffnete Gray das Gespräch.
»Hochwürden, können Sie uns sagen, weshalb Pater Giovanni …«
»Der arme Mann!«, fiel der Pfarrer ihm ins Wort und bekreuzigte sich. »Möge er in Frieden ruhen.« Er tätschelte Rachel die Hand. »Ich werde auch für Ihren Onkel beten. Ich weiß, dass er mit Marco eng befreundet war.«
»Das stimmt, und ich danke Ihnen.«
Der Priester wandte sich wieder an Gray. »Marco … lassen Sie mich nachdenken. Das erste Mal war er vor drei Jahren hier.«
»Das muss unmittelbar nach seinem Besuch der Ausgrabungsstätte gewesen sein«, warf Wallace ein.
»Anschließend kam er öfter hierher und schaute sich in ganz Wales um. Wir unterhielten uns über alle möglichen Dinge. Letzten Juni kam er ziemlich aufgeregt von der Insel Bardsey zurück. Als hätte ihm dort etwas einen Mordsschrecken eingejagt. Er betete die ganze Nacht über in der Kirche. Ich habe nicht gelauscht, doch ich muss gestehen, ich hörte, dass er immer wieder um Vergebung bat. Als ich am nächsten Morgen erwachte, war er weg.«
Gray kam noch einmal auf den ersten Besuch zu sprechen. »Hat Pater Giovanni den Grund seines Besuchs genannt?«
»Aye. Er unternahm eine Pilgerreise zur Insel Bardsey. Wie viele andere vor ihm. Um die Toten zu ehren.«
Gray bemühte sich, das Gehörte zu verarbeiten. Offenbar war der Pater dem Pfarrer gegenüber nicht ganz ehrlich gewesen. Eine Bemerkung aber ließ ihn hellhörig werden. »Welche Toten meinen Sie?«
»Die zwanzigtausend Heiligen, die auf Bardsey bestattet sind.« Der alte Mann zeigte zum kleinen Fenster, das aufs Meer hinausging. Die Insel war kaum mehr zu erkennen, denn der Regen war stärker geworden. »Marco wollte alles über die Geschichte der Toten erfahren.«
Das wollte Gray auch. »Was haben Sie ihm geantwortet?«
»Das, was ich allen Pilgern sage. Die Insel Bardsey ist ein heiliger Ort. Ihre Geschichte reicht bis zu den ersten Menschen zurück, die dieses schöne Land besiedelt haben. Bis zu denen, welche die Steine aufgestellt und die Hügelgräber errichtet haben.«
Wallace merkte auf. »Sie meinen die neolithischen Stämme, welche die britischen Inseln als Erste besiedelt haben.«
»Aye. Auf Bardsey findet man noch ihre Steinkreise. Schon damals war dies ein heiliger Ort. Die Heimat des Königsgeschlechts. Kennen Sie die keltischen Sagen, die von den Fomoren handeln?«
Gray schüttelte den Kopf. Wallace kniff die Augen zusammen. Offenbar wusste er, was gemeint war, wollte es aber aus dem Mund des alten Priesters hören.
»Was sind Fomoren?«, fragte Rachel.
»Nicht was, sondern wer. Den irischen Legenden zufolge
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