Signum - Die verratenen Adler
paar Tage keine Gäste zu empfangen hatte, begab sich der Statthalter auf Inspektionsreisen, um der sich entfaltenden Verwaltung auf die Finger zu sehen oder Gerichtstage abzuhalten. Auch dabei gab es keine Zwischenfälle. Die beiden Legionäre, die den Opferteich der Marser entweiht hatten, waren zum Wasserschleppen und zum Ausleeren der Latrinen verdonnert worden, was einer milden Bestrafung gleichkam, wenn man bedachte, dass ihr Vergehen eine Zeit lang zu erheblicher Verstimmung in maÃgeblichen Kreisen des Stammes geführt hatte. Doch auch diese Verwicklungen waren nach einigen Wochen völlig in Vergessenheitgeraten, jedenfalls hatte Varus laut Silanus nach einer Besprechung halb im Spaà und halb im Ernst gesagt, dass die Friedfertigkeit und Dienstbeflissenheit der Germanen fast schon etwas Irritierendes habe.
Alles in allem war Germanien also tatsächlich auf dem besten Weg, eine Provinz des Imperiums zu werden. Seinem Vater berichtete Caius in mehreren Briefen über die Entwicklung, und nachdem sie zwei Wochen im Sommerlager zugebracht hatten, traf zum ersten Mal ein langes Schreiben von Quintus Cornelius Castor aus Rom ein, dessen Erholung so schnelle Fortschritte machte, dass er schon wieder zu denken wagte, was er vorerst wohl weder seiner Frau noch seinem Arzt eröffnete: Dass er im nächsten Frühjahr selbst nach Germanien zu kommen wünschte, um die Aufgabe wahrzunehmen, die der Princeps ihm bei jener denkwürdigen Audienz übertragen hatte.
Lucius wich seinem Freund in dieser Zeit nicht von der Seite, weil er nach und nach ein ganz eigenes Interesse an der Provinzverwaltung entwickelte, aus der er allerhand Schlüsse für die Führung seiner Mine zog.
Ab und zu speisten sie mit dem Statthalter und seinem Gefolge, doch nie waren sie mit ihm allein. Die Erinnerungen an die Ermordung des Boten, den Brief des Statthalters und den schrecklichen Verdacht gegen Rullianus verblassten, und abends sprachen sie mehr und mehr über andere Dinge. Das Abenteuer schien im Alltag zu stranden, und nichts zeigte diese Entwicklung deutlicher als die Tatsache, dass Lucius sich wieder, wie er sich ausdrückte,für die Kriege des Amor zu interessieren begann, die denen des Mars am Ende doch vorzuziehen seien. Eroberungen blieben aber vorerst aus.
Wenn sie durch die Lagervorstadt oder über den Bauernmarkt streiften, hielt Caius Ausschau nach dem Mädchen aus Castra Lupiana. Er hätte inzwischen kaum noch sagen können, wie sie aussah, und dennoch blieb der Gedanke aufregend, sie wiederzutreffen. In seiner vagen Erinnerung verklärte er das Gesicht der Unbekannten zum Abbild eines vollkommenen Liebreizes, für den jede Beschreibung nur die Vergeudung ohnehin unzulänglicher Worte war. Natürlich war es so gut wie unmöglich, ihr hier zu begegnen. Sie gehörte doch aller Wahrscheinlichkeit nach zu den Brukterern, und die nahmen wohl kaum den langen Weg auf sich, um ihr Gemüse im Sommerlager zu verkaufen, zumal die Cherusker sie bestimmt als lästige Konkurrenten aus dem Land gejagt hätten.
Der Sommer hatte seinen Höhepunkt bereits überschritten, als Caius und Lucius zur Teilnahme an einer groÃen Zusammenkunft aufgefordert wurden, die einen halben Tagesritt entfernt an einem zentralen Versammlungsort der Cherusker stattfinden sollte. Caius vermutete zunächst eine kleinere Veranstaltung, zu der nur die Spitzen des Stammes und der Statthalter mit ein paar Begleitern auftauchen würden. Doch dem war nicht so: Die Cherusker wollten eine Art Heerschau abhalten, denn die ersten Kohorten aller drei Legionen wurden marschbereit gemacht, dazu Teile der berittenen germanischenHilfstruppen, bei denen im Lauf der letzten Wochen ein reges Kommen und Gehen geherrscht hatte. Die Einladung zu der Versammlung hatte niemand anders als Arminius übersandt, der Stammesführer der Cherusker und Präfekt der von diesen gestellten Hilfstruppen. Varus hatte sich lediglich ein paarmal bei seinen Inspektionsreisen mit ihm getroffen, im Lager hatte Arminius sich noch nicht blicken lassen. Da es nicht unbedingt dem typischen Verhalten des romtreuen germanischen Adels entsprach, sich auf diese Art rarzumachen, schossen im Lager die Gerüchte umso wilder ins Kraut. Der Cheruskerführer wurde zu einem finsteren Riesen, der in Pannonien wahre Heldentaten vollbracht hatte, und niemand widersprach den angeblich von höchster Stelle durchgesickerten Nachrichten,
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