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Signum - Die verratenen Adler

Signum - Die verratenen Adler

Titel: Signum - Die verratenen Adler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roemling
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umzudrehen, steuerte er auf einen der Wagen zu, auf dem Frauen in langen Gewändern einen gebratenen Ochsen zerteilten und die Stücke in die Menge reichten. Vom Duft angezogen, zwängte er sich durch die gut gelaunt in alle Richtungen drängelnden und schwatzenden Männer. Als er schließlich vor dem Wagen ankam, traf es ihn wie ein Blitz.
    Zwischen den Frauen stand, wie aus dem Boden gewachsen, das germanische Mädchen.

24
    Der nächtliche Streit während des Heimritts von Castra Lupiana hatte das kindliche und kompromisslose Vertrauen erschüttert, das Fastrada ihrem Cousin entgegenbrachte, seit sie denken konnte. Daran hatte auch das Gespräch am nächsten Tag nichts geändert. Irmin hatte über die Gründe gesprochen, die zu seiner Entscheidung geführt hatten. Sein Plan zum Aufstand war nicht aus einer Laune heraus entstanden, sondern in einem Dickicht von beobachtetem und erlittenem Unrecht allmählich herangewachsen und irgendwann an die Oberfläche seines Bewusstseins gebrochen. Er hatte lange abgewogen, schwankend zwischen der Loyalität zu seinen römischen Verbündeten und der zu seinen Landsleuten, die unter den willkürlichen Steuerforderungen und Übergriffen der Besatzer zu leiden hatten. Irmin verstand zu überzeugen, und seine Argumentation hatte die glasklare Geschliffenheit römischer Advokatenkunst, schlug unerwartete Haken, wenn sie auf Widerspruch traf, fand Vergleiche in fernen Zeiten und Ländern, von denen Fastradanichts verstand, verschanzte sich in den Bastionen moralischer Überlegenheit, um sich dann in unerwarteten Ausfällen voller leidenschaftlicher Schärfe auf ihre Zweifel zu stürzen. Am Ende musste sie ihm zustimmen: Ja, die Römer waren uneingeladen über den Rhein gekommen, um das Land und seine Bewohner auszupressen. Ja, sie hatten nichts zu bieten als Illusionen von Karrieren, mit denen sie ein paar Geblendete als Erfüllungsgehilfen ihrer Ausbeutungsgier auf ihre Seite zogen. Ja, ihnen war jedes Mittel zur Unterjochung der Bevölkerung der von ihnen besetzten Länder recht. Und ja, wenn man einmal erkannt hatte, dass Widerstand gerechtfertigt war, dann durfte man auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.
    All dem konnte sie nichts entgegensetzen, und dennoch hatte Irmin nicht auf ihren letzten und schwerwiegendsten Vorwurf antworten können. Dass all die vorgeschobenen Gründe, so überzeugend sie für sich auch sein mochten, nur der Befriedigung seiner eigenen Selbstsucht dienten. Und noch etwas beschädigte das Bild, das Fastrada sich früher von ihm gemacht hatte: Er, den sie als Beschützer geliebt und zu dessen Einfallsreichtum sie aufgeblickt hatte, der augenzwinkernde Mitwisser ihrer Kinderstreiche und Beschwichtiger ihrer ständig empörten Eltern – er hatte wie der Mond eine dunkle Seite. Durch den Riss, den der Streit in jener verfluchten Nacht in die strahlende Figur ihres Cousins gebrochen hatte, sah sie einen anderen Irmin. Dieser erschreckend fremde und gewalttätige Irmin zog mit hassverzerrtem Gesicht zwischen brennendenGehöften durch, ritt über am Boden liegende Gegner, gab mit einem Wink ganze Familien der Sklaverei preis und sprach in unappetitlicher Kumpanei mit römischen Offizieren am Feuer über das, was sie gefangenen Frauen angetan hatten.
    In den folgenden Wochen redeten sie noch oft, denn Irmin schien unendlich viel daran zu liegen, die alte Vertrautheit und Unbeschwertheit wieder heraufzubeschwören. Der Riss schloss sich ein wenig. Aber er blieb sichtbar. Manchmal fragte sich Fastrada, ob die Begegnung mit dem jungen Römer vor dem Lager ihren Teil dazu beigetragen hatte, dass all die Fragen in ihr aufgebrandet waren. Während sie neben ihrem Wagen gestanden und insgeheim auf seine Rückkehr gehofft hatte, war ihr klar geworden, dass auch er, nicht älter als sie selbst, bald mit einem Pfeil im Rücken oder mit eingeschlagenem Schädel im Wald liegen würde – wenn Irmins Plan aufging.
    Lange nach dem Vorfall, der Sommer neigte sich dem Ende zu, war in der Nähe ihres Dorfes bei den Elstersteinen eine große Versammlung einberufen worden, zu der auch Abteilungen des römischen Heeres erscheinen sollten. Als sie Irmin darum gebeten hatte, sie mitzunehmen, hatte er fragend eine Augenbraue hochgezogen, denn seit ihrem Streit hatte sie das Weite gesucht, sobald andere Stammesführer nur in die Nähe gekommen waren. Er

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