Silber
können, am Leben zu sein.
Bis jetzt hatte er in Nick Simmonds‘ ehemaligem Apartment gewohnt – so fern man von „Wohnen“ sprechen konnte –, das unten bei der alten Wagenrennbahn des Circus Maximus lag. Das war von Anfang an der Plan gewesen. Er entstammte einer Wahrheit, die seine Meister in vielen Jahren des unablässigen Kampfes gelernt hatten: Die Polizei kehrte nicht mehr an einen bestimmten Ort zurück, sobald er als verlassen erachtet wurde. Das Apartment von Simmonds war sein Unterschlupf. Er hatte sich einen Vorrat an Wasserflaschen angelegt und lebte sehr genügsam, ohne Licht, ohne Geräusche zu machen, weil er seine Anwesenheit hier nicht verraten wollte. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass er sich im Schatten des Circus Maximus versteckte, der einst der Spielplatz eines weiteren römischen Kaiser gewesen war. Es war mehr als ironisch, es war geradezu poetisch, dachte der Gelehrte bei sich: Es gab keinen anderen Ort in Rom, an dem schon so oft eine Entscheidung über Leben und Tod gefallen war wie hier.
Er wusste, was er zu tun hatte.
Er konnte nicht länger in seinem Versteck bleiben.
Er musste dem Kardinaldekan eine Nachricht zukommen lassen. Das Feuer durfte nicht angezündet werden.
Noah flehte Dominico Neri an, ihn in den Vatikanstaat zu bringen. Er musste irgendwie dort hineingelangen. Alles andere war egal.
Hier draußen war er völlig nutzlos.
Auf dem Petersplatz würde nichts mehr passieren, das erschien ihm offensichtlich. Das Finale hatte schon von Anfang an innerhalb der Mauern des Heiligen Stuhls stattfinden sollen.
Wie konnte man einen Glauben zerschmettern?
Indem man etwas absolut Spektakuläres veranstaltete, so konnte man es schaffen. Indem man etwas tat, das selbst Gott zur Kenntnis nehmen musste.
„Trotz Seiner Allwissenheit, auf welchen Ort wird Gott wohl gerade blicken?“ Noah versuchte es mit vernünftigen Argumenten. „Und wenn schon nicht Gott, wohin blickt dann gerade der Rest der Welt?“
Dominico Neri sah ihn unverwandt an. Dem Italiener mit den ergrauten Schläfen gefiel überhaupt nicht, in welche Richtung dieses Gespräch sich entwickelte. „Ich habe keine Ahnung. Verraten Sie es mir doch.“
Von ihrem Tisch in dem überteuerten Café an der Fassade Madernos aus zeigte Noah mit dem Finger auf die andere Seite des Platzes. „Auf den Vatikan. Genau wie jeder andere blickt Gott gerade auf den Kamin der Sixtinischen Kapelle und wartet auf den weißen Rauch, der besagt, dass Sein neuer bester Freund auf Erden gewählt worden ist.“
„Der Vatikan ist eine Festung, mein Freund. Es gibt keinen sichereren Ort auf der Welt. Niemand kommt hinein, und niemand kommt hinaus.“
„Das klingt mir schwer nach Überheblichkeit. Vergessen Sie diesen ganzen ‚Sie sind keine Soldaten, sie folgen dem Ruf Gottes‘-Quatsch von der Schweizergarde. Das sind ganz normale Menschen und keine mythischen Helden. Sie sind fehlbar, und damit hat es sich. Wir wissen, dass die Leute, mit denen wir es hier zu tun haben, ziemlich clever sind. Außerdem sind sie sehr geduldig, und sie haben in den letzten Tagen mehr als einmal das Unmögliche möglich gemacht. Sie hatten den Plan mit dem vergifteten Wasser schon lange in die Tat umgesetzt, bevor das erste Opfer entdeckt wurde. Der Vatikan ist also eine Festung. Und wen kümmert das? Wir wissen nicht, ob der echte Assassine schon gefasst worden ist, oder? Und wir wissen auch nicht, ob der Vatikan Abandonato Unterschlupf gewährt. Es gibt eine Schlange im Garten, mein Freund – und zwar eine verdammt große, die nur darauf wartet, mit ihren Giftzähnen kräftig in einen heiligen Hintern zu beißen.“
„Ich kann Ihnen durchaus folgen, aber das Konklave ist hermetisch abgeriegelt. Niemand kommt dort rein oder raus, sobald es begonnen hat. Die Türen sind nach der neuntägigen Trauerphase versiegelt worden, und sie werden nicht geöffnet werden, bis die Glocken erklingen und weißer Rauch aus dem Kamin aufsteigt. Es gibt keinen Weg hinein und keinen hinaus. Die Kapelle wird sogar auf Wanzen und Minikameras untersucht. Wir sind nicht mehr im Mittelalter, Noah. In der Sixtinischen Kapelle kommt nur die modernste Sicherheitstechnik zum Einsatz.“
„Das bestätigt nur, was ich gerade gesagt habe, Neri. Welches Angriffsziel könnte eine größere Schockwirkung haben? Alle Welt glaubt, dass die Mauern des Vatikans undurchdringlich sind. Was passiert also, wenn sie doch überwunden werden? Was könnte im schlimmsten Fall
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