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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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eines Schocks über sie legte. Dies hier war ein verschlafener Vorort. Hier rannten keine bewaffneten Männer durch die Straßen. Sie wichen vor ihm zurück, als er sich an die Verfolgung der Frau machte. Er sah ihre Angst.
    „Polizei“, rief er, obwohl es gelogen war. Trotzdem stellte dieses eine Wort ihre natürliche Weltordnung wieder her.
    Ronan rannte so schnell er konnte, den Oberkörper nach vorne gebeugt, seine Arme und Beine bewegten sich mit wilder Geschwindigkeit. Er konnte die Frau sehen, sie hatte etwa vierzig Meter Vorsprung. Sie hatte sich die Sturmhaube vom Kopf gezogen und hielt sie im Laufen mit ihrer rechten Hand umklammert. Auch sie rannte mit voller Kraft, wobei sie alle paar Schritte geschickt einem der Pendler auf dem Weg zur U-Bahn auswich.
    Er stellte eine kurze Berechnung an: Die Browning hatte eine effektive Reichweite von fünfzig Metern, es befanden sich etwa hundert Passanten auf der Straße, und sie war ein bewegliches Ziel – aber es war ein glatter Schuss. Er konnte sie mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer gut gezielten Kugel ausschalten – er brauchte dafür nur einen sicheren Stand. Aber damit würde er einer unbewaffneten Frau in den Rücken schießen. Mit den vielen Menschen auf der Straße war nicht vorhersehbar, ob nicht einer von ihnen einen Schritt in die falsche Richtung machte und damit in seine Schussbahn geriet – abgelenkt von einer Schaufensterauslage oder einer Schlagzeile auf den Zeitungsständern. Das Risiko, dass einer der Zivilisten getroffen wurde, war relativ hoch. Die Frau wusste das; es war der Grund, warum sie auf die größte Menschenansammlung zugelaufen war. Wie man so schön sagte, in der Gruppe ist man sicherer – es war nur eine andere Art Sicherheit.
    Ronan blieben noch fünf Sekunden für den Schuss, falls er sich dazu entschließen wollte. Danach würde sie in der U-Bahn-Station verschwinden, Lethe würde den Sichtkontakt verlieren und Ronan könnte nur noch ihren Schatten jagen.
    Die Menge teilte sich, um die Frau zu verschlucken, und sie war fort. Er fluchte.
    „Sag mir, dass du sie sehen kannst!“ rief er in das Headset.
    „Tut mir leid, Boss.“
    „Scheiße!“, fluchte Frost erneut. Er schob sich so schnell es ging zwischen den Menschen hindurch, aber sie hielten ihn trotzdem auf. Von einer Seite des Eingangs ergossen sich Blumen auf die Straße, von der anderen Zeitungen. Er rannte hinein und sprang über die Drehkreuze vor der Treppe. Sie konnte nur in eine Richtung gegangen sein: nach unten, zum Bahnsteig. Schwer atmend nahm Ronan jeweils drei oder vier Stufen auf einmal. Er hielt über die Köpfe der Pendler hinweg nach ihr Ausschau, aber von hinten sahen alle Frauen mit langen, dunklen Haaren ziemlich gleich aus. Sie war clever. Sie versuchte nicht, sich zwischen den Passagieren hindurchzuschieben – sie bewegte sich mit dem Strom der Menge, was es umso schwerer machte, sie aufzuspüren.
    Über die Lautsprecher verkündete eine blecherne Stimme die Ankunft des nächsten Zuges in Richtung Süden. Er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen zu zittern begann, als die U-Bahn rumpelnd in die Station einfuhr.
    Er konnte nicht zulassen, dass sie einstieg, nicht, wenn er herausfinden wollte, für wen zum Teufel sie arbeitete. Er quetschte sich zwischen einem Nadelstreifenanzug und einer Mohair-Jacke hindurch. Die Luft roch schwer nach Parfum, Zigarettenrauch und Dieselabgasen. Ein Straßenmusiker stand an der Ecke, wo die Gleise hinter der Kurve in der Dunkelheit verschwanden. Die gelben Fliesen warfen ein seltsames Echo seiner Musik zurück. Ronan überlegte, ob er noch einmal „Polizei!“ rufen sollte, aber wahrscheinlich würden die Leute ihm dann den Weg versperren und verhindern, dass er die Frau erwischte.
    Sie musste starke Schmerzen haben, die das Adrenalin bestimmt nur zum Teil lindern konnte. Ein gebrochenes Handgelenk war ein gebrochenes Handgelenk; wenn die Wirkung des Stresshormons in ihrem Körper nachließ, würde sie höllische Qualen leiden. Jeder Zusammenstoß und jedes Anrempeln von einem der Pendler musste ihr stechende Schmerzen durch den ganzen Körper jagen – es sei denn, sie hatte sich mit Methylamphetaminen vollgestopft, überlegte er. Das klang logisch. Sie hatte nicht einmal geblinzelt, als er ihr das Handgelenk zerschmettert hatte. Der Gedanke stimmte ihn allerdings nicht gerade zuversichtlich. Er hatte schon Auseinandersetzungen mit Meth-Junkies gehabt – genauso gut konnte man sich mit dem

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