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Silber

Titel: Silber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Savile
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Stein. Er versuchte, den Atem anzuhalten und sich so dünn wie möglich zu machen. Das Signalhorn schrillte in seinen Ohren, so nah, als ob es sich in seinem Kopf befinden würde. Er schloss die Augen und zwang sich, nicht zu blinzeln. Der Wind drückte ihn erst gegen die Wand. Dann versuchte er mit gewaltiger Kraft, seinen Kopf in die Bahn der heranrasenden U-Bahn zu ziehen.
    Ronan biss knirschend die Zähne zusammen und presste sein Gesicht in den Schotter. Durch die verdrängte Luft entstand ein Vakuum, das an seinen Haaren riss. Seine Schreie gingen neben der wahnsinnigen Geräuschkulisse des Höllenzuges unter. Ein schmerzhaftes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. Er widerstand dem Impuls, seinen Kopf zurückzuwerfen und den Schmerzen ein Ende zu bereiten. Die Schmerzen waren das einzige, was ihn am Leben erhielt.
    Das
Ta-Ta-Ti-Tam Ta-Ta-Ti-Tam
der Räder dröhnte in seinem Kopf.
    Er konnte nicht atmen.
    Die Luftmassen, die der Zug neben sich herschob, nagelten den Iren an die Betonmauer, und er liebte jede einzelne schmerzhafte Sekunde, die bedeutete, dass er noch lebte.
    Dann war es vorbei. Der Zug war an ihm vorüber, und er konnte wieder atmen. Er blieb ganze dreißig Sekunden lang liegen und hörte dem rasenden Keuchen seines eigenen Atems zu, bis er sich auf die Füße kämpfte. Er überlegte, ob er die Frau über den Wartungsschacht zur Oberfläche verfolgen sollte, aber sie wäre längst verschwunden, bis er oben ankam. Und sie würde annehmen, dass er tot war. An ihrer Stelle würde er zurück zu Fishers Apartment gehen und zu Ende bringen, was er begonnen hatte. Er ging davon aus, dass sie so dachte wie er.
    Ronan Frost lief mit zitternden Knien auf das Licht zu.
    Er spürte etwas Warmes und Klebriges auf seiner Wange und hob die Hand, um den Schaden zu ertasten. Er zog die Finger wieder zurück und sah daran viel mehr Blut, als er erwartet hatte. Der Schotter hatte ihm die Seite seines Gesichts zerschnitten.
    Als er aus dem Tunnel kam, versammelte sich gerade die nächste Pendlerwelle am Bahnsteig. Einige von ihnen blickten ihn neugierig an, die anderen hielten es nach dem Wenn-ich-es-nicht-sehe-sieht-es-mich-auch-nicht-Motto des Vogel Strauß und blickten absichtlich in eine andere Richtung. Soweit war es mit der Stadt mittlerweile gekommen. Noch vor zehn Jahren wäre ein guter Samariter herbeigeeilt, um sich um ihn zu kümmern, während jemand anderes Hilfe geholt hätte. Heute wurde er nur argwöhnisch dabei beobachtet, wie er unsicher zurück auf den Bahnsteig kletterte und auf die Wartenden zuging. Er konnte ihnen keinen Vorwurf daraus machen. Er wusste, welchen Anblick er bieten musste, blutüberströmt, ramponiert, und, wie ihm auffiel, immer noch mit der Browning in der rechten Hand.
    Ronan steckte die Waffe ins Holster.
    Auf dem Weg zum Ausgang drückte er auf den Knopf für die Schnellwahl an seinem Headset, aber er hatte im Tunnel das Netz verloren. Er drängelte sich durch die Absperrungen, ignorierte die fragenden Blicke und drückte so oft auf den Schnellwahl-Knopf, bis Lethe antwortete: „Schießen Sie los.“
    „Ich hab sie in den Tunneln verloren und wäre fast von der U-Bahn nach South Shields plattgefahren worden. Insgesamt nicht das beste Ergebnis.“
    „Oh, ich würde sagen, dass Sie
nicht
plattgefahren worden sind, können wir durchaus als Erfolg verbuchen. Was können Sie mir sonst berichten?“
    „Weiblich. Stammt aus dem Nahen Osten. Libanon, wenn ich raten müsste – sie hatte dieses gewisse Etwas. 1,72 mit einem rechten Haken wie Tyson. Sehr attraktiv. Und ich spreche nicht von einem Mädchen, das man gern seiner Mutter vorstellt, sondern von einem Leben als hingebungsvoller Sexsklave.“
    „Ich gleiche das mit der aktuellen Datenbank des MI6 ab. Wenn sie aus dem Nahen Osten kommt, stehen die Chancen gut, dass der Geheimdienst etwas über sie weiß“, sagte Lethe in sein Ohr. „Vielleicht haben sie ‚sexy Attentäterin’ als Suchbegriff.“
    „Sie hat einen der Wartungsschächte in den südlichen Tunneln benutzt, vielleicht fünfzig Meter in der Röhre. Kannst du die Grundrisse auftreiben und herausfinden, wo sie rausgekommen ist?“, fragte Ronan, der Lethes letzte Bemerkung ignorierte.
    „Bin schon dabei, Frosty. Ich suche gerade nach Kamera-Streams in der Umgebung. Wenn sie dort irgendwo auftaucht, finde ich sie, keine Sorge.“
    Ronan ging zurück zum Apartment in der Acorn Road. Wie erwartet, hatten sich bereits einige Polizisten vor dem zertrümmerten

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