Silberband 103 - Facetten der Ewigkeit
dem Willen des Volkes beugen. Alle verehren ihn abgöttisch, weil er die Stelle des Göttergeschenks gefunden hat.«
Nicht nur die Bauarbeiter, die freiwillig zusammenströmten, forderten ein strahlenderes und größeres Totenmal. Der Baumeister merkte, dass seine Einfälle zahlreicher wurden. Er konstruierte in einem großen Modell die Gänge und die Kammer, die einst das Göttergeschenk aufnehmen sollte - und wusste zugleich, dass es keinen Sterblichen geben würde, der in dieses Versteck eindringen konnte.
Noch war das untere Drittel der Pyramide nicht errichtet; die Arbeiter bauten Zufahrtswege, einen kleinen Hafen, ihre eigene Stadt und die Basis für dieses riesige Bauwerk.
»Wird der Pharao zustimmen? Wird auch er von diesen unerklärlichen Fähigkeiten und Kräften erfasst werden?«, fragte die junge Nubierin und spielte mit Teilen ihres Brustschmucks.
»Sicherlich hat das Göttergeschenk auch seinen Geist erfasst. Denn schon der Entschluss, dereinst seinen Körper zusammen mit dem Fund in der Pyramide aufzubewahren, zeugt davon.«
»Und stimmt es, was Ranofer jüngst sagte, dass er glaubt, übernatürliches Wissen fließe ihm zu?«
Der Baumeister zögerte mit der Antwort. Für ihn war die Lösung nicht so einfach wie für den Pharao. Sie hatten darüber gesprochen. Anscheinend aus dem Raum der Sterne oder durch den geheimnisvollen Odem des Fundstücks wurden viele Menschen beseelter, fähiger und klüger: Sie wussten plötzlich Dinge, die niemand sie gelehrt hatte. Sie verstanden Zusammenhänge, die vorher unklar und verwirrend gewesen waren.
»Ranofer hat recht. Aber er, der Pharao und auch ich werden dennoch ernsthafte Schwierigkeiten bekommen.«
Die Vorstellung, ein vierhundert ägyptische Ellen hohes Bauwerk mit vier dreieckigen, völlig glatten Flächen in der Wüste errichten zu können, forderte den Baumeister heraus. Für alle Zeiten würde sein Name bekannt bleiben; seiner und der des mächtigen Pharaos. Und beide konnten sie sagen, dass sie niemanden zur Arbeit gezwungen hatten.
Draußen in der Wüste wuchs die Pyramide, wuchsen die Sandaufschüttungen, wurden die Wege und Rampen breiter und länger. Tausende Meißel hämmerten auf den Stein ein. Tausende Menschen wuchteten die Blöcke an ihre Plätze.
»So sieht also dein Plan aus, und ich soll ihn ausführen?«, sagte Ranofer, die rechte Hand des Baumeisters, begeistert, aber zweifelnd zugleich.
»Ich werde dich häufig besuchen und dir helfen«, antwortete Menketre. »Hast du Männer, die Tonkrüge drehen und brennen können?«
»Sie haben noch niemals einen solchen Krug hergestellt. Aber schließlich bleibt Lehmerde, was sie ist.«
»Das Harz wird sie stabil machen. Wenn ihr euch an die Zeichnung und die Modelle haltet, werden die Wände nicht brechen.«
»Zuerst werde ich noch drei Schichten Blöcke auftürmen lassen.« Ranofer war in der verstrichenen Zeit stark gealtert und härter und überzeugender geworden. Das Land um die Baustelle glich einem riesigen Heerlager, die Baustelle selbst war ein Chaos aus Rampen und halb fertigem Material.
»Ich begreife nicht ganz, warum wir den Fund nicht jetzt schon einmauern«, sagte Ranofer nach einiger Zeit. »Es wäre sinnvoller und würde weniger Arbeit verursachen.«
»Der Herrscher will feierlich den Fund aus dem Reich der unsichtbaren Götter in die Pyramide bringen, wenn sie fertig ist. Vielleicht sucht er ein Gleichnis, wie es später mit ihm geschehen wird. Außerdem scheint er den Priestern um Omen-tep-phaser ein Spektakel vorführen zu wollen. Er hat sich zwar nicht öffentlich entschlossen, aber er stimmt den Menschen zu, die eine wahrhaft große Pyramide verlangen. Die Ansichten der Männer um Omen-tep-phaser kennst du.«
»Sie hemmen den Fortschritt. So viel, wie wir über das Bauen, die Naturgesetze und andere Anwendungsbereiche allein hier erfahren haben, ist niemals irgendwo gelehrt worden.«
»Eben dies scheinen sie zu fürchten. Es vermindert ihren Einfluss. Sie haben bisher einfache Konstruktionsgesetze als göttliche Weisheit angeboten und wissen, dass sie zumindest uns damit nicht mehr beeindrucken können. Du tätest besser daran, mit einem Dolch in der Hand zu schlafen.«
Ranofer lachte schallend. »Ich ziehe die Nähe warmblütiger Frauen vor und einen Becher in der Hand.«
»Trotzdem! Vorsicht. Die Pyramide ist noch nicht fertig.«
Ihre Dimensionen waren gut zu erkennen. An einer Stelle sahen Ranofer und der Baumeister die verschiedenen Schichten grob
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