Silberband 107 - Murcons Vermächtnis
Seitenlehnen fest.
Um den Thron des Herrschers herum waren die Sitzbänke angeordnet, auf denen die Noblen des unterirdischen Reiches Platz nahmen, wenn Zullmaust zu ihnen zu sprechen wünschte. Auch diese Bänke wirkten ungefüge und boten doppelt so viel Raum, wie von Zullmausts Zuhörern benötigt wurde.
Wer die besondere Lage der Untertanen Zullmausts kannte, der begriff ohne Mühe, dass die klobige Einrichtung keineswegs einen primitiven Geschmack widerspiegelte. Sie hatte damit zu tun, dass die unter der Oberfläche lebenden Zaphooren kein Sehvermögen besaßen. Sie orientierten sich, indem sie kurze, halblaute Schreie ausstießen und an der Art des Echos auf die Beschaffenheit der Umgebung schlossen. Die Frequenz dieser Sehrufe lag im Ultraschallbereich. Es war verständlich, dass diese Art des akustischen Sehens große Gegenstände bevorzugte und ein Wesen, das sich auf diese Weise orientierte, kleine Objekte als hässlich einstufte.
Zullmausts Hofstaat bestand aus etwa dreißig seiner Untertanen. Zehn davon waren Frauen. Die Mehrzahl der Mitglieder des Hofstaats hatte Botenfunktion. Zullmaust brauchte sie, um eine Nachricht an einen bestimmten Empfänger zu senden oder eine Auskunft von einer gewissen Quelle einzuholen. Andere sorgten für die Bequemlichkeit des Herrschers, indem sie ihn mit Trank und Speise versorgten oder ihm das Gesicht wuschen, wenn ihm zu heiß wurde. Vier waren die Hüter der Feuer, die dafür sorgten, dass die Scheiterhaufen an der Hallenwand niemals erloschen. Das Amt des Feuerhüters war mit etlichem Ansehen verbunden. Jeder, der auf sich hielt, strebte danach, Feuerhüter zu werden. Obwohl der ständige Aufenthalt in der Hitze wenig angenehm war und die Hüter unter dem Rauch litten, der durch schmale Schlitze in der Kuppeldecke nur zögernd abzog.
Es gab Riesen und Zwerge im Hofstaat, Geschöpfe mit einer Vielzahl Gliedmaßen und solche, die nur einen Arm oder ein Bein ihr Eigen nannten.
Die Augen, die bei den blinden Bewohnern der Unterwelt keine Funktion hatten, befanden sich in verschiedenen Stadien der Mutation. Zullmaust hatte noch voll entwickelte Augäpfel, jedoch fehlten ihnen Iris und Pupille.
Den fortgeschrittensten Grad der Mutation stellten jene Männer und Frauen dar, aus deren Gesichtern selbst die Augenhöhlen verschwunden waren.
Der Hofstaat hatte sich in den letzten Minuten schweigend verhalten und auf Zullmausts Entscheidung gewartet. Jeder wusste, mit welcher Zuneigung der Herrscher an seiner Favoritin hing. Niemand zweifelte, dass Zullmaust etwas Entscheidendes unternehmen würde, um dem gefährlichen Geist das Handwerk zu legen.
Bevor der Herrscher seinen Entschluss kundtun konnte, stürzte ein vierbeiniger Bote in die Thronhalle. Er bewegte sich schnell bis an die unterste Stufe des Podests, auf dem Zullmausts steinerner Thron stand, und machte eine Ehrfurchtsbezeigung.
»Gute Nachricht, Herr! Serena ist gerettet! Ein Fremder hat den Geist vertrieben, und Serena ist mit ihm auf dem Weg hierher.«
Da richtete sich Zullmaust im Sessel auf und verkündete mit durchdringender Stimme: »Richtet ein Fest! Der Fremde, der den Geist vertrieben und Serena gerettet hat, soll unsere Dankbarkeit erfahren.«
Pankha-Skrin kannte sich in den Seelen intelligenter Wesen aus. Serenas Begegnung mit dem geheimnisvollen Geist war ein einschneidendes Erlebnis gewesen, das sie erst verarbeiten musste. Danach fragte er sie vorerst nicht. Trotzdem stillte er seinen Wissensdurst ungeniert. Serena redete bereitwillig über ihre Umwelt und beantwortete jede Frage, zumindest versuchte sie das.
»Was war das für ein Beben, das uns beinahe begraben hätte?«, erkundigte sich der Quellmeister.
»Das war das Grollen des Donnermeisters. Er muss sich sehr geärgert haben.«
»Wer ist der Donnermeister?«
»Ein Geist der Vergangenheit, der in der Tiefe lebt.«
»Ärgert er sich oft? Ich meine: Sind solche Erschütterungen häufig?«
»Ich habe noch nie darauf geachtet. Vielleicht eine in jedem Hunderttag.«
Während ihrer Unterhaltung bewegten sich die beiden ungleichen Wesen durch einen Gang, der die Fortsetzung des Stollens bildete, durch den Pankha-Skrin gekommen war. Er führte auf der anderen Seite der Halle weiter. Serena schätzte, dass sie in etwa einer Stunde bewohnte Gegenden erreichen würden.
Aus dem Übersetzer erklangen wieder jene eigentümlich fiependen Laute, die Pankha-Skrin schon einmal gehört hatte, ohne dass er sich ihre Herkunft hatte erklären
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