Silberband 107 - Murcons Vermächtnis
der Mündung des Stollens hinüber, die das Ziel der Priester war.
Sie kamen in Gruppen. Drei Blasshäutige waren in eine angestrengte Unterhaltung vertieft.
»… nicht sicher, wie wirksam unsere Gebete sein werden«, hörte Tantha einen der drei sagen.
»Das wird sich bei der nächsten Versammlung am Mittelpunkt ergeben«, antwortete der zweite. »Sie steht kurz bevor.«
»Es ist eine eigenartige Situation«, bemerkte der dritte. »Wir können sogar sagen, dass sich unsere Gedanken im Kreis bewegen. Es ist uraltes Gesetz, dass jedes Opfer, das Kukelstuuhrs Appetit entrinnt, Priesteranwärter wird. Es scheint, dass der Hunger der Gottheit in jüngster Zeit nachlässt. Jedenfalls gibt es immer mehr Anwärter. Da die Zahl der Opfer, die wir zur nächsten Opferfeier vorweisen müssen, sich aber nach der Zahl jener richtet, die von Kukelstuuhr bei der vorigen verschlungen wurden, kommen wir in arge Bedrängnis.«
»Es wäre besser, wenn die Verschmähten nicht sofort zu Anwärtern ernannt würden, sondern erst, nachdem sie zwei- oder dreimal verschmäht worden sind«, pflichtete der erste bei.
»Was ist das für ein Geschwätz!«, wiesen ihn die beiden anderen zurecht. »Die Gottheit allein bestimmt, wann ein Opfer zum Anwärter wird! Du kennst das Gesetz und weißt, dass es zu seiner Änderung der Anweisung Kukelstuuhrs bedarf!«
»Ich höre eure Worte, aber wohin führen sie uns? Ihr wisst so gut wie ich, dass die große Opferfeier nach der Versammlung am Mittelpunkt stattfinden wird. Wir müssen zur Feier wenigstens vierzig Opfer bringen. Wie viele haben wir?«
»Achtzehn«, brummte einer der beiden andern.
»Richtig! Andererseits haben wir aber seit der letzten Feier dreizehn Priesteranwärter.«
Mehr konnte der Humpelnde Tantha nicht hören. Die Vermummten verschwanden in dem Stollen, ihre Stimmen verklangen. Von denen, die nach ihnen kamen, erfuhr der Humpelnde nichts mehr.
Schließlich lag die weite Halle leer und verlassen. Der Qualm hatte sich verzogen.
Der Humpelnde Tantha drapierte sein Gewand, bis es den Umhängen der Priester glich und er sich eine Kapuze über den Kopf ziehen konnte. Danach wandte er sich um und ging gemächlichen Schrittes und mit gesenktem Blick auf den noch schwelenden Gluthaufen zu.
Wo die Kukelstuuhr-Priester gesessen hatten, hockte Tantha sich nieder. Er versuchte, dieselbe Haltung wie die Götzendiener einzunehmen, die Knie nach vorne gereckt und die Füße nach hinten abgewinkelt. Er atmete vorsichtig, denn er wollte von den letzten Resten des Qualms nicht benommen werden.
Nach etwa einer halben Stunde hörte er Schritte näher kommen. Hinter ihm hielten sie an.
»Wer bist du?«
Tantha tat, als schreckte er aus tiefer Nachdenklichkeit auf. Er wandte sich um und erblickte einen Kukelstuuhr-Priester, eine breitschultrige Gestalt mittlerer Größe, deren Gesicht im Schatten der Kapuze nur undeutlich zu erkennen war.
»Ich bin Ogalvain, ein Anwärter«, antwortete Tantha bescheiden. »Es verlangte mich nach der reinigenden Wirkung des Rauches. Solange die Priester ins Gebet vertieft waren, durfte ich mich nicht nähern. Daher wartete ich.«
Der Breitschultrige schien sein Gegenüber aus dem Schatten der Kapuze zu mustern.
»Du bist ein gelehriger Schüler, Ogalvain, und mit Eifer begabt. Du wirst es weit bringen. Vorerst aber sollst du dich daran erinnern, dass die Anwärter sich um diese Stunde zusammenfinden, um über ihr Amt zu lernen.«
Der Humpelnde Tantha gab sich beschämt. »Das habe ich vergessen«, murmelte er mit gesenktem Blick. »Vergib mir und geleite mich zu dem Ort, an dem die Anwärter sich versammeln.«
13.
Die Lichtzelle näherte sich dem fremden Sonnensystem. Das Zentralgestirn war ein hellgelber Stern. Er hatte drei Planeten, von denen der innere eine enge und stark elliptische Umlaufbahn beschrieb, die ihn beizeiten zur Kollision mit seinem Muttergestirn führen musste. Der zweite Planet bewegte sich in einer wesentlich stabileren Umlaufbahn, die aber noch zu eng war, als dass sich auf der Oberfläche mehr als ausgeglühtes Gestein hätte finden lassen. Wenn jene, denen das verlassene Raumschiff gehörte, wirklich in diesem Sonnensystem Zuflucht gesucht hatten, dann konnten sie nur auf dem äußeren Planeten zu finden sein.
Dieser besaß eine sauerstoffreiche Atmosphäre und dichten Pflanzenwuchs, wie Ganerc-Callibso schon aus beträchtlicher Entfernung feststellte. Freilich registrierten die Instrumente noch kein Anzeichen, dass sich auf
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