Silberband 114 - Die Sporenschiffe
bringen. Salik war an diesem Tag nicht zur Arbeit gegangen, zum ersten Mal seit über fünf Jahren. Er zitterte vor Erregung wegen des Vorfalls, der sich am frühen Morgen ereignet hatte.
Salik hatte seine Wohnzelle im 24. Bezirk verlassen, um mit der Gleitbahn zur Arbeit zu fahren, dabei war er Zeuge eines Unfalls geworden. Ein Gleiter war aus dem Sicherheitsbereich ausgebrochen und gegen eine Hauswand geprallt. Die Rettung des eingeklemmten Passagiers hatte sich als kompliziert erwiesen. Noch bevor die Rettungsmannschaften eingetroffen waren, hatte Salik, der nicht einmal einen Führerschein besaß, den Gleiter aus den Trümmern rangiert, den Verunglückten aus dem Fahrzeug gezogen, auf die Straße gebettet und ihm, obwohl seine medizinischen Kenntnisse mehr als bescheiden waren, Erste Hilfe geleistet.
»Ohne Ihr Eingreifen wäre er tot«, hatte ihm später ein Arzt versichert.
Salik erschien das alles immer noch wie ein Traum. Die Situation zu sehen, zu erkennen und einzugreifen, war eines gewesen. Er hatte instinktiv gehandelt, ohne darüber nachzudenken. Anschließend war er vor neugierigen Zuschauern und Reportern geflohen.
Was geschieht mit mir?, fragte er sich zum wiederholten Mal.
Es gehörte nicht viel Kombinationsvermögen dazu, um zu erkennen, dass zwischen seinen erstaunlichen Erfolgen in der Arbeit und der spontanen Rettungsaktion an diesem Morgen ein Zusammenhang bestand. Salik wusste plötzlich Dinge, von denen er früher kaum eine Ahnung gehabt hatte, und er besaß Fähigkeiten, die er bisher nicht einmal im Traum beherrscht hätte.
Die offensichtliche Veränderung, die mit ihm vorging, bereitete ihm Unbehagen und Furcht.
Immer war sein Leben in geregelten Bahnen verlaufen, aber nun reagierte er schockiert.
Neben ihm standen Touristen und fütterten die Wasservögel und Fische im Kanal.
Salik ertappte sich dabei, dass ihn die Willkür ärgerte, mit der diese Leute das Futter ins Wasser warfen. Innerhalb weniger Sekunden hatte er einen regelrechten Verteilerschlüssel parat, nach dem alle Tiere dort unten zu ihrem Recht gekommen wären.
Er wandte sich ab und schloss die Augen. Wurde seine neu erworbene Fähigkeit, Probleme zu erkennen und zu lösen, bereits zur Manie? War er krank? Salik verließ die Brücke und wanderte an der Gracht entlang.
Bisher hatte es nie den geringsten Hinweis darauf gegeben, dass er ein ungewöhnlicher Mensch sei. Einhundertzwanzig Jahre waren eine lange Zeit, in deren Verlauf er wohl hätte erkennen müssen, dass eine zweite Persönlichkeit in ihm verborgen war. Außerdem hatte er nach wie vor den Eindruck, dass ihm seine beängstigend wirkende Genialität von außen zufloss, wo und was immer »außen« auch sein mochte. Für einen solchen Vorgang gab es weder ein Beispiel noch eine Erklärung.
Setzen wir voraus, dass ich unter fremdem Einfluss stehe, dachte Salik. Daraus ergibt sich sofort die Frage, warum gerade ich das Opfer dieser Manipulation bin. Aber vielleicht gibt es noch andere, die unter einem ähnlichen Phänomen leiden und sich ebenso wenig bisher offenbart haben.
Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Es erschien ihm merkwürdig, dass er, bei all seinen neuen Möglichkeiten, sein eigenes Problem nicht lösen konnte.
Die unsinnigsten Gedanken beschäftigten ihn. Er überlegte, ob er Versuchsobjekt eines parapsychisch begabten Menschen geworden war oder ob fremde Mächte sich seiner angenommen hatten. In jedem dieser Fälle gab es zu viele Argumente, die dagegen sprachen.
Eines jedoch erschien dem kleinen Mann sicher: Er würde innerlich an dieser Entwicklung zerbrechen, wenn er nicht in absehbarer Zeit mit jemandem darüber reden konnte. Der Druck in seinem Bewusstsein wurde stärker und brauchte ein Ventil.
Aber wem sollte er sich anvertrauen? Er stellte sich vor, wie er vor irgendwen hintrat und sagte: »Ich habe ein Problem, ich werde allmählich zu einem Genie!« Die zwangsläufige Folge musste eine Untersuchung seines psychischen Zustands sein – und vielleicht war er tatsächlich seelisch krank.
Plötzlich kam ihm eine Idee. In der Nähe befand sich eine kleine nostalgische Buchhandlung, in der er schon oft grenzwissenschaftliche Literatur, vor allem über das Thema Reinkarnation, gekauft hatte. Der Besitzer war ein großer alter Mann mit verträumten Augen. Salik hatte verschiedentlich mit ihm diskutiert und den Eindruck gewonnen, dass der Buchhändler nicht halb so versponnen war wie der größte Teil der Literatur, die er vertrieb. Der
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