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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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im Winter waren sie im Gewächshaus. Seine
     Mutter hatte ihm erklärt, dass es Palmen waren, er hatte ihr zuerst nicht geglaubt. Palmen kannte er aus der
Schatzinsel
und
Robinson Crusoe
, Palmen waren fremdartig und schön. Die Palmen auf der Hakenterrasse waren kleiner gewesen als Mutter und die einzelnen Wedel
     ineinander verheddert und manche abgeknickt. Der Wind zerrte an ihnen, und alles in allem sahen sie mickrig aus. Er klappte
     den Bildband wieder zu, laut zu, er wollte, dass sie aufblickte. Sie blickte nicht auf, Frau Potulski wischte weiter Staub.
    Er könnte sie fotografieren.
    In Schwarz-Weiß. Farbe ging nicht, das quittengelbe Haar. Er könnte sie so hinstellen wie die Frau auf dem Foto, das eines
     Morgens zuoberst in der Altpapiertonne gelegen hatte. Inmitten alter Rechnungen und Zeitungen, die obere Hälfte verdeckt von
     der Mahnung einer Telefongesellschaft. Er hatte nackte Beine sehen können, und Pobacken, feiste, bleiche Pobacken, leicht
     auseinanderklaffend. Er hatte die Mahnung beiseitegeschoben, hatte es in die Hand genommen, auf die Vorderseite gefasst, das
     tat er sonst nicht. Es war schlecht fotografiert, schlecht ausgeleuchtet, weiße Lichtreflexe auf den prallen Hinterbacken,
     die Ritze dunkel, entzündete rote Punkte rundherum. Das rechte Knie hatte sie auf die Sitzfläche eines Stuhls gelegt, den
     Oberkörper vorgebeugt, die Unterarme auf der Stuhllehne verschränkt. Sie sah sich nach dem Fotografen um, die Zunge seitlich
     rausgestreckt, die Augen leicht verdreht, |56| ein derbes, feistes Gesicht, ein Gesicht, mit dem man alles tun konnte, ohne dass es einem leidtat. Er kannte es nicht, es
     war keine seiner Nachbarinnen, hatte das Bild zurück in den Altpapierbehälter getan. Hatte sich umgesehen, der Hinterhof leer,
     hinter den dunklen Fensterscheiben niemand, hatte es trotzdem dort gelassen, seine alten Zeitungen in den Behälter gelegt,
     sorgsam achtgebend, dass sie das Bild verdeckten.
    Jana Potulskis Hintern war flach, ihre Hose schlug schräge Falten, die in der Poritze verschwanden. Sie hatte aufgehört zu
     wischen, stand vor dem Sideboard und rührte sich nicht. Eine Hand aufgestützt, die andere, die das Staubtuch hielt, lag reglos
     da, wie vergessen. Sie trug wieder ein Herren-T-Shirt, ein weißes, es war ein wenig zu eng, er konnte sehen, wie ihr BH in
     weiches Fleisch drückte.
    »Sehen Sie«, Frau Potulski drehte sich zu ihm um, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Sideboard, »sehen Sie«, sie sah hinab
     auf das Staubtuch, »meine Mutter«, sie sah zum Fenster, ihr Profil war flach, Stirn und Nase beinahe eine Linie, die Nase
     vielleicht gebrochen und schlecht verwachsen, »meine Mutter«, wiederholte sie, »ist auf einem Lastwagen nach Poznań gekommen.«
    Im Panzer vielleicht, weiß glänzend und gut gefüllt, die Arme erhoben, die Achseltäler dunkel, die Hände verschränkt hinter
     hellen Haaren mit schwarzem Streifen am Scheitel.
    »Auf der Ladefläche eines Lastwagens, mit mir im Bauch.«
    Der Bauch, vom Bund der Strumpfhose geteilt in zwei Wülste, das Bauchnabelloch im unteren Wulst.
    |57| »Drei Tage sind sie gefahren, von Hrodna nach Poznań. Die russischen Soldaten haben gesagt, nichts mitnehmen, alles sei dort.«
    Die Schläuche ohne Panzer, die verrutschten Brustwarzen, das sich durch die Haut abzeichnende Flussnetz der Adern.
    »Meine Mutter wollte in Hrodna bleiben, auf ihre Eltern warten, in der Ulica Długa 29, in dem Haus, in dem sie geboren wurde«,
     sie legte das Staubtuch neben sich auf das Sideboard, »aber die Russen haben gesagt, sofort.«
    Ihr Gesicht, die schmalen Augen, die schwarz verklumpten Wimpern.
    »Später, als man fahren durfte, hat sie die Ferien in Hrodna verbracht.«
    Der breite Mund, den sie zusammenpresste, während sie auf ihn hinabsah, auf ihn in seinem dunkelgrünen Sessel hinabsah. So
     zusammenpresste, dass die gebogenen Linien, die von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln führten, scharf hervortraten, wie
     bei einem Äffchen.
    »Meine Mutter wollte nicht nach Poznań, sie musste, verstehen Sie?«
    Sie wartete. Sah ihn an und wartete, ihre Stirn in Falten geschoben. Er verschränkte die Arme.
    »Ich werde Sie fotografieren«, sagte er.
    Frau Potulski sah ihn an, rührte sich nicht, verstand nicht. Er stemmte sich mit beiden Händen aus dem Sessel.
    »Ich kann nichts anderes fotografieren, Ihretwegen, ich werde Sie fotografieren«, erläuterte er geduldig. Ihre |58| Schultern sackten nach vorn, als hätte er

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