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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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ihr einen spitzen Finger in den Bauch gestoßen. Sie lachte oder schnaubte, es war
     nicht zu unterscheiden.
    »Nicht mal zugehört«, sagte sie, stieß sich vom Sideboard ab.
    »Sie müssen verstehen, Frau Potulski, Ihretwegen kann ich nicht fahren.«
    Sie schüttelte nur den Kopf, ging an ihm vorbei, in den Flur.
    »Frau Potulski«, sagte er, sagte es laut, sie ging in die Küche, »Frau Potulski, seien Sie nicht undankbar.«
    Sie stand vor der Dunkelkammer, mit dem Rücken zur Tür, drehte sich nicht um, als er hereinkam.
    »Ich werde es niemandem zeigen.« Er hob die Hände, streckte sie ein wenig aus, hatte sie auf ihre Schultern legen wollen,
     begütigend auf ihre hängenden Schultern legen wollen.
    »Nein«, sagte sie. »Sie haben nicht mal zugehört«, sagte sie.
    »Ich habe Ihnen den Bus bezahlt, Ihnen zu essen gegeben, Sie auf dem Sofa schlafen lassen. Sie haben meinen Strom verbraucht,
     mein warmes Wasser«, zählte er auf.
    »Ich bin Ihnen dankbar. Nur …«
    »Nur nicht dankbar genug, dass es für ein Bild reicht.«
    Er verschränkte die Arme, wartete. Sie sah hinab auf ihre Handflächen, hatte sie aneinandergerieben, kleine schwarze Würste
     aus Staub, Schweiß, Möbelpolitur sammelten sich in der Mitte, sie drehte den Wasserhahn auf, wusch ihre Hände, nahm Spülmittel |59| statt Seife, trocknete sie an ihren Hosenbeinen, er wartete.
    »Sie werden mich nicht fotografieren«, sagte sie schließlich, ihre Stimme fest, das breite Gesicht ruhig verschlossen.
    »Gut«, er nickte, »gut. Dann werden Sie jetzt gehen.«
    »Dann werde ich jetzt gehen«, sie zuckte mit den Achseln, ging an ihm vorbei, ging ins Wohnzimmer, er blieb dicht hinter ihr.
    »Sie können doch nirgendwohin«, sagte er, »seien Sie nicht albern«, sagte er.
    Sie ging zum Sofa, nahm den Henkel der blauen Tasche, öffnete sie, sah kurz hinein.
    »Die Zahnbürste ist im Bad«, sie wollte an ihm vorbei, er griff nach ihr.
    Umschloss ihren Oberarm mit der Hand, drückte zu, drückte, so fest er konnte, helles Fleisch quoll zwischen seinen Fingern
     hervor.
    »Kommen Sie«, sagte er und »ich rufe die Polizei.«
    Er konnte fühlen, wie der Muskel unter dem weichen Fleisch hart wurde, mühelos entwand sie ihm den Arm.
    »Weswegen denn?«
    Er zögerte. Breitbeinig stand sie da, das Kinn hochgereckt, sah nicht weg, erwiderte stumm seinen Blick, ihr Mund ruhig verschlossen,
     Wimperntuscheklumpen auf den Tränensäcken. Schließlich ließ sie die blaue Tasche wieder auf die Dielen sinken.
    »Die Brühe ist alle, wir brauchen neue.«
    »Wofür brauchen wir Brühe?«
    »Zum Kochen«, sie verdrehte die Augen.
    |60| »Mittwochs gehe ich nie einkaufen, nur dienstags und freitags.«
    »Ich kann allein gehen.«
    »Und wie wollen Sie bezahlen?
    »Sie könnten mir Geld geben.«
    »Nein«, sagte er, »nein.«

[ Menü ]
    |61| 6.
    Sie ging schnell, rammte bei jedem Schritt die Hacken der Turnschuhe in den Boden. Braune Streusandstreifen verliefen quer
     über den Gehweg, waren ebenso glattgetreten wie der Schnee. Er wollte neben ihr bleiben, seine Sohlen rutschten, nicht zurückfallen,
     seine Beine waren steif, die Muskulatur kalt und hart. Unvermittelt blieb sie stehen, die Luft brannte in seinem Rachen. Ein
     Fahrrad lag quer über dem Bürgersteig, das Vorderrad an einen Laternenpfahl angekettet, das Hinterrad eine Welle, der Fahrradschlauch
     zur Hälfte von der Felge gerutscht. Der Schnee auf dem Sattel uringelb verfärbt. Er stieß den Lenker mit dem Fuß an, vorsichtig
     zuerst. Der Lenker schwang zur Seite, zog eine Furche in den Schnee. Er stieß kräftiger zu, das Fahrrad rutschte wenige Zentimeter,
     schob Schnee vor sich her, er stieß es noch mal, Metall schleifte über Pflastersteine, ihm wurde warm. Er nahm einen Schritt
     Anlauf, trat gegen den Rahmen, Schmerz in den Zehen, er trat gegen den Sattel, trat noch einmal und noch einmal, bis er das
     Fahrrad scheppernd beiseitegeschoben hatte, bis das Rücklicht rot zersplittert auf dem Schnee, auf den freigelegten Pflastersteinen
     lag.
    »So«, sagte er.
    |62| Frau Potulski hatte ihm zugesehen, Frau Potulski schritt wortlos an ihm vorbei, er blieb dicht hinter ihr. Ihre Haare und
     Jacke waren beigeschmutzigorange, im Farbton nur um Nuancen verschieden. Die Haare endeten knapp über dem Kragen, die Schnittkante
     gerade und dick, bewegte sich nicht, wippte nicht. Sie ging zügig vor ihm her, als wisse sie, wohin. Die Haarspitzen sahen
     aus wie eine Bürste, er streckte eine Hand aus,

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