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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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das Ziehen aufgehört.
    Der Briefträger musterte ihn stumm, musterte den Bademantel, die Pantoffeln, den Schlüsselbund, den er rasch in die Tasche
     steckte, sein Blick blieb an den Haaren hängen. Er strich sie nach hinten. Der Briefträger hielt einen braunen Umschlag, »Jana
     Potulska?«
    »Hier«, Jana Potulski hob die Hand, meldete sich wie ein Schulkind, er trat einen Schritt vor, versperrte ihr den Weg.
    »Mildt«, sagte er, zog den Gürtel des Bademantels enger, »ich wohne hier.«
    »Das Einschreiben ist für Jana Potulska«, wiederholte der Briefträger, sah an ihm vorbei in den Flur, »sie muss hier unterschreiben«,
     er hielt eine kleine Karte hoch.
    |191| Frau Potulski versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, er zögerte, ob er die Arme in den Türrahmen stemmen, ihr den Weg versperren
     sollte, der Briefträger runzelte die Stirn, er ließ es bleiben.
    »Potulska«, sagte sie, »guten Tag.« Der Briefträger nickte, wollte ihr die Karte reichen, einen Kugelschreiber.
    »Sie lügt«, seine Hand schnellte vor, »sie heißt nicht Potulska.«
    Der Briefträger zog die Karte weg.
    »Sie heißt Potulski«, das i zog er lang.
    »Eigentlich Potulska. Potulski ist es auf Deutsch«, sagte sie, »polnisch Potulska.« Sie nahm die Karte, den Kugelschreiber,
     unterschrieb, das Papier an die Wand gelegt, »meine Tochter sagt immer Potulski, aber eigentlich ist es Potulska.«
    Er streckte die Hand aus, nach dem Umschlag, der Briefträger schüttelte den Kopf.
    »Der darf nur dem Empfänger ausgehändigt werden, und das ist sie«, er wies mit dem Kinn auf Frau Potulski.
    »Aber es ist meine Anschrift«, er deutete auf das Adressfeld, »und mein Name steht auch drauf, c/o Hermann Mildt«, las er
     vor.
    Der Briefträger beachtete ihn nicht, Frau Potulski bedankte sich artig, als er ihr den Umschlag gab, »alles Gute«, sagte der
     Briefträger zu ihr und ging grußlos.
    Sie trat in den Flur zurück, riss den Umschlag auf, er schloss die Tür, in dem Umschlag war ein roter Pass, sie klappte ihn
     auf, in der Mitte lagen Geldscheine. Sie nahm sie heraus, zählte sie, es waren ein Fünfziger und zwei Zehneuroscheine.
    |192| »Für die Fahrkarte«, sagte sie.
    Er nahm ihr den Umschlag aus der Hand, sie wehrte sich nicht. Las erneut die Anschrift, drehte ihn um, suchte den Absender,
     »Irina –«, buchstabierte er.
    »Meine Schwester«, sagte sie.
    »Woher weiß Ihre Schwester, wo ich wohne?«
    »Von mir«, sie klang erstaunt.
    »Ich habe Ihnen die Adresse nicht gesagt«, er dachte an den Anruf, die fremde Frauenstimme.
    »Straße und Hausnummer wusste ich vom Einkaufen, ich kannte Ihren Namen«, Frau Potulski wandte sich zum Gehen, »mein Neffe
     hat im Internet nachgesehen, es gibt nur einen Hermann Mildt in Berlin.« Von einem Internet hatte er in der Zeitung gelesen.
    Er deutete auf das Geld, »das gehört mir«, sagte er. »Sie haben mein Wasser, meinen Strom, mein Gas verbraucht, Nahrungsmittel,
     das U-Bahn-Ticket«, zählte er auf. »Ich mache eine Liste«, sagte er, wollte nach den Scheinen greifen, »den Rest kriegen Sie
     wieder.«
    Die Scheine verschwanden in ihrer Hosentasche.
    »Mit dem Bus sind es neunundsechzig Euro«, sie bedeckte die Tasche mit ihrer Hand, »Berlin-Poznań, meine Schwester hat nachgefragt.«
    Er drängte sich an ihr vorbei, schloss die Tür ab, schloss ein Mal, schloss zwei Mal, steckte den Schlüssel in die Bademanteltasche.
    Sie lächelte, »das nützt Ihnen auch nichts«, sagte sie, wollte ins Wohnzimmer gehen. Er hielt sie fest, brachte sein Gesicht
     ganz nah an ihres.
    Sie wich zurück, »Sie riechen aus dem Mund.«
     
    |193| Er hatte seine Zähne nicht geputzt, ihr Kulturbeutel lag nicht im Regal, stellte er fest. Die Zahnbürste stand nicht im Glas.
     Er zögerte, ehe er Zahnpasta auf die Borsten drückte, sie konnte was reingetan haben. Die Zahnpasta sah normal aus. Er betrachtete
     seinen Unterarm im Spiegel, das Hämatom, wie es mit jedem Bürstenstrich auf- und niederfuhr, es war heller geworden, mehr
     violett. Er spuckte aus, sie hatte ihn verletzt, sah zu, wie der Schaum langsam zum Abfluss rann. Seinen Körper verletzt.
    Das Wohnzimmer war leer, sie saß in der Küche, saß auf dem einzig freien Küchenstuhl, ihre Beine übereinandergeschlagen. Hatte
     die Schränke nicht wieder eingeräumt, saß inmitten von Gläsern, Pappschachteln und Konserven. Hatte ihre Jacke angezogen,
     ihre Schuhe, die blaue Tasche lag neben ihr auf dem Boden. Sie stand auf, als er

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