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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Er hatte keinen Ring. Er war hier ein Außenseiter und das ärgerte ihn. Er hatte schließlich den Echoraum gesehen, ihm war von Frieda gesagt worden, er hätte ein gewisses Leuchten an sich. Auch er suchte nach Antworten.
    „Ich glaube, die Menschen hatten nicht die Absicht, dir etwas zu tun“, antwortete Schirokko. „Sie haben Goth erschossen, sicher, und wir können nur hoffen, dass sie auch Throbb getroffen haben. Sie haben nicht Jagd auf euch gemacht. Sie wollten euch vielmehr beschützen.“
    Schatten atmete langsam aus. Könnte das wahr sein?
    Marina nickte zögernd. „Es war dumm von uns wegzufliegen. Sie hätten uns möglicherweise geholfen.“
    „Mach dir keine Sorgen“, sagte Schirokko. „Nocturnas Großes Versprechen wird bald Wirklichkeit. Wir werden ans Licht des Tages zurückkehren. Und wir werden zu Menschen werden.“
    Zu Menschen.
    Schatten hörte zu und es verschlug ihm die Sprache. Nie im Leben hätte er das geahnt. Jedes Mal, wenn er an Nocturnas Großes Versprechen gedacht hatte, war er immer davon ausgegangen, dass sie als Fledermäuse ans Licht des Tages zurückkehren würden. Schirokko aber sagte, es gäbe vorher eine Verwandlung und alle, die beringt waren, würden zu Menschen werden. Auf diese Weise würden sie schließlich die Sonne zurückgewinnen. Sie würden nie mehr wieder in Angst vor den Vögeln und den Vierfüßlern leben müssen.
    Er beobachtete Marina, während sie dieser Erklärung zuhörte. Seit sie Goth und Throbb verlassen hatten, war sie niedergeschlagen und in ihre eigenen Gedanken versunken gewesen, aber nun leuchtete ihr Gesicht vor Aufregung, und als sie seinen Blick auffing, schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln.
    Er musste wegschauen. Warum war er nicht glücklicher? Er war schließlich gekommen, um das Geheimnis der Ringe zu entschleiern, und nun war ihm das gelungen. Was Schirokko sagte, klang wie die Wahrheit. Was störte ihn also daran? Vielleicht war es nur die Überraschung, diese neue Vorstellung, einen Körper zu verlassen für einen anderen. Ein Mensch. Wie hatte er sie in der Kathedrale beneidet. Er hatte sich ihre Kraft gewünscht, ihre Größe, aber wollte er sich in einen von ihnen verwandeln? Sie wirkten langsam, schwer. Sie konnten nachts nicht sehen.
    Und sie konnten nicht fliegen.
    Schatten nahm seinen ganzen Mut zusammen. Er fühlte sich so, als wäre er wieder vor den Ältesten auf dem höchsten Ruheplatz im Baumhort.
    „Woher weißt du das so sicher – über die Verwandlung, meine ich?“
    „Weil sie bereits begonnen hat“, antwortete Schirokko.
    „Mensch … Mensch …“, tönte ein aufgeregtes Flüstern von den Dachbalken.
    „Schaut her“, sagte Schirokko.
    Er begab sich zu einem freien Platz in der Mitte des hölzernen Bodens. „Es kommt bald. Ich fühle es in den Knochen“, sagte er, schloss die Augen und runzelte vor Konzentration die Stirn. „Meine Fledermausknochen werden bald zu Menschenknochen. Meine Beine werden sich dehnen und wachsen und sich in menschliche Beine verwandeln …“
    Mit einem schnellen Stoß der Handgelenke richtete sich die langohrige Fledermaus auf den Hinterbeinen auf. Nur für einen Moment schwankte er, bevor er sein Gleichgewicht gefunden hatte. Sein Schwanz lag auf dem Boden.
    „Verwandle dich!“, sprachen die Fledermäuse oben im Chor. „Verwandle dich!“
    Gravitätisch machte Schirokko auf den Hinterbeinen ein paar Schritte vorwärts, die Flügel hatte er seitlich fest angelegt, den Kopf nach vorne gestreckt. Er ging wie ein Mensch.
    Eine geheimnisvolle Energie füllte den Dachboden, und Schatten blickte beunruhigt zu Marina.
    Sie starrte überwältigt auf Schirokko, ihre Augen blitzten.
    „Meine Krallen werden stumpf, meine Finger schrumpfen“, sagte Schirokko. „Mein Fell wird dünn, mein Gesicht wird glatt und flach. Meine Flügel verdorren und fallen von den Schultern wie die nutzlose Haut einer Schlange.“
    „Verwandle dich! Verwandle dich!“
    Schatten musste schlucken, sein Herz raste. Schirokkos Schritte waren jetzt selbstbewusster, seine Flügel hatte er so fest zusammengefaltet, dass sie verschwunden schienen … und sein Gesicht wirkte heller, weniger haarig …
    Schattens Echo-Sehen flackerte. Die Luft selbst auf dem Dachboden schien mit Licht und Tönen aufgeladen. Er schüttelte den Kopf und blickte neugierig auf Schirokko. Was ging da mit ihm vor?
    „Ich sage euch allen jetzt“, rief Schirokko, „dass ich wachsen werde, bis ich groß und stark und mächtig bin, und

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